bücher aus den charts : Braver Hund! Ein bisschen Sadomaso stört die Sehnsucht nicht – „Die Frau im Mond“ von Milena Agus
Sexuelle Revolution hin oder her – es hat durchaus etwas Erheiterndes, dass dieser Roman so weit oben auf den Bestsellerlisten steht. Zunächst wirkt er ja vollkommen harmlos. Auf dem Cover sieht man einen Blick aus einem Fenster aufs Meer, schön blaue Glasgefäße stehen auf der Fensterbank – was zum Lesen für die Toskanafraktion, so dekodiert man diese Signale. Das ganze Buch ist so aufgemacht. Knapp 136 Seiten schmal, also was für einen verträumten Sonntagnachmittag oder einen gemütlichen Leseabend mit einem Glas Rotwein und einem Stück Käse.
Noch während man die ersten Seiten liest, denkt man: Ja, das wäre doch vielleicht das Richtige für die Schwiegermutter. Von einem Frauenschicksal ist da die Rede, Ende des Zweiten Weltkrieges, auf Sardinien. Signalsätze: Sie „ging in die Kirche, um Gott zu fragen, warum er nur so ungerecht sei und es ihr verwehre, die Liebe kennenzulernen“. Gleich darauf wird gesagt, dass die Großmutter, von der hier die Rede ist, Brot backt, Wassereimer aus einem Brunnen zieht und die Hühner füttert. Die Sprache strahlt dabei etwas gediegen Erdschweres aus, so als sei sie getöpfert. Und das ganze Buch ist in kurze Abschnitte unterteilt, schön luftig, mit viel Zwischenraum. Das sieht klasse aus und erleichtert das Lesen.
Wer aber nun nicht mehr weiterliest und sich das Buch als Geschenk einpacken lässt, kann allerdings nach Weihnachten seine Überraschung erleben. Kann schon sein, dass einen die Schwiegermutter etwas seltsam angucken wird. Später finden sich Pornoszenen. „Die Hündin: Nur mit Strapsen bekleidet, apportiert sie die Zeitung, und dafür liebkost er ihre Scham von hinten oder streichelt ihre Haare oder krault ihr die Ohren und sagt: ,Braver Hund!‘“ Das ist ein Beispiel dafür, was die Großmutter und der Großvater miteinander machen, wobei sie sich nach solchen Spielen zwar in ein Bett legen, aber möglichst weit entfernt voneinander, jeder so sehr an den Rand gedrängt, dass sie im Schlaf aus dem Bett fallen.
Diese Szenen stehen nicht zufällig genau in der Mitte dieses Buches. Milena Agus’ Roman „Die Frau im Mond“ – derzeit auf Platz 4 der Spiegel-Bestsellerliste – ist eine hübsche kleine Fantasie über Liebessehnsucht und vielleicht etwas ungewöhnliche Wege, sie ins Leben zu integrieren. Man wundert sich beim Lesen darüber, wie die Autorin es schafft, einerseits ganz direkt mit Sex umzugehen, andererseits aber auch ganz keusch über die Liebe zu schreiben. Die Geschichte der Großmutter wird von der Enkelin erzählt, und es finden sich neben deftigen, sehnsüchtigen, poetischen und kitschigen Szenen auch solche, bei denen man tief seufzen muss. So fragt sich die Großmutter einmal, „warum Gott die Dinge in der Liebe, der Hauptsache im Leben, auf so absurde Weise eingerichtet hatte“. Tja, warum eigentlich? Bei solchen Sätzen kann man dann verträumt aufs Buchcover blicken und sein Auge übers Meer schweifen lassen.
Man kann diesen Roman unbedingt als Hinweis dafür nehmen, wie liberal unsere Gesellschaft inzwischen in Sexdingen ist. Das Buch ist in vielen Frauenzeitschriften besprochen und von Elke Heidenreich in ihrer „Lesen!“-Sendung warm beschrien worden – auf die kleinen Sadomasoszenen wurde dabei gar nicht eingegangen. Und natürlich ist der Roman auch aus ganz anderen Gründen so ein Erfolg. Dafür spielt wohl eher eine Rolle, dass das kleine Buch auch alle Motive enthält, bei denen literaturbeflissene Menschen sich beim Lesen sanft einkuscheln können. Es wird Klavier gespielt, und es werden Gedichte geschrieben. Es werden harte Leben geführt und tiefe Gefühle gefühlt. Am Schluss wird klar, dass die Erzählerin von der Großmutter den Lebensauftrag erhält, Schriftstellerin zu werden. Bei den Motiven freut sich dann auch die Schwiegermutter. DIRK KNIPPHALS
Milena Agus: „Die Frau im Mond“. Aus dem Italienischen von Monika Köpfer. Hoffmann und Campe, Hamburg 2007. 136 Seiten, 14,95 Euro