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Archiv-Artikel

buchmessern (4) Trendspotting mit der Lupe

Kennen Sie einen der Preisträger? In Leipzig wurden Kleinverlage gefeiert, Konzerne beschimpft – und viele Preise verliehen

Zu den vornehmsten Übungen eines Messeberichterstatters gehört es, Trends zu sichten. Das ist nicht immer leicht, da sich alle halben Messejahre selten wirklich Neues tut; das ist sogar richtig schwer, wenn ein Frühjahrsprogramm ein eher handelsüblich-durchschnittliches ist, so wie in diesem Jahr. Doch wird eben etwas herbeikonstruiert oder ein Trend aus der Tasche gezogen, der schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat.

In Leipzig spricht man deshalb in diesem Jahr viel über neue Verlagsgründungen – über „Independents im Aufwind“, wie eine Diskussionsrunde in den Messehallen übertitelt war –, und über Verlage wie Kookbooks, Tropen, Blumenbar oder Schirmer/Graf, die verstärkt auf sich aufmerksam machen.

Warum das so ist, bleibt eher unklar: Verlagsneugründungen gibt es alle Jahre wieder, und von älteren Kleinverlagen wie FVA, Mare, Kunstmann oder den Verbrechern ist momentan gar nicht mehr die Rede (auch den Tropen Verlag gibt es schon fast zehn Jahre). Doch reichen eben zwei, drei zeitgleiche Neugründungen mitsamt geschickter Öffentlichkeitsarbeit, um Trendsetter auf den Plan zu rufen.

Dass diese nötig sind, ließ sich schön auf der besagten Diskussionsrunde heraushören: „Wir versuchen einen Nachfragedruck zu erreichen“, sagte Michael Zöllner von Tropen und wies daraufhin, dass die wichtigsten Verbündeten eben jene Trendsetter in den Feuilletons und angeschlossenen Medien seien. Das größte Problem kleiner Verlage ist es nämlich, überhaupt mit ihren Büchern in die Buchhandlungen zu kommen oder schnelle Lieferbarkeit zu erreichen: Stichwort Vertrieb, Stichwort Barsortimente, und schnell war man so beim Niedergang des Buchhandels und der Problematik von Ketten wie Weltbild oder Jokers, die kaum 1.000 Titel im Angebot haben, geschweige denn solche von Tropen oder Blumenbar.

Als weniger aufschlussreich erwies sich die Runde bei Fragen zu Programm und inhaltlichen Standortbestimmungen. Da hatte man den Eindruck, als ginge es etwa Daniela Seel von Kookbooks oder Heinrich von Berenberg mit seinem gleichnamigen Verlag ausschließlich um die Lust am Büchermachen – nicht darum, den Großen eins auszuwischen oder alles ganz, ganz anders zu machen. So übernahm nur der gute Klaus Wagenbach wieder einmal den Part des Bertelsmann-Verkloppers, schimpfte über den „Blödsinn“ der Großen und ihre schlechten Bücher und analysierte, dass die Leser von den Bertelsmännern und den Buchhandelsketten betrogen würden. Klar, dass er auch sein Lieblingszitat von Enzensberger zückte: Bertelsmann, das ist ein großer Verlag, aber mir fällt gerade kein Autor ein.

Hübsch abwandeln konnte man dieses Zitat dann am Nachmittag: In Leipzig, ja, da werden Preise verliehen, aber mir fallen gerade keine Preisträger ein. Drei Jahre gab es hier den von Günter Grass gestalteten Butt, aber nach Kübeln von Spott über die Verleihungszeremonie wurde er wieder abgeschafft und durch den „Preis der Leipziger Buchmesse“ ersetzt, der bei einer bewusst verschlankten, flitter- und ballettfreien und auch etwas drögen Veranstaltung im Zentrum der Messe, dem Glashaus, verliehen wurde. Michael Krüger vom Hanser Verlag hielt eine vordergründig „launige“, vor allem aber bedenkenswerte Begrüßungsrede. Er sprach über Preisinflation und Preisverleihungsunsinn, versicherte, dass es trotzdem noch mehr gute Bücher pro Jahr gebe als Preise (und das will bei über 1.000 Preisen auch was heißen! ) und schloss mit warnendem, von Kulturpessimismus umwickelten Zeigefinger: „Nichts brauchen wir im Moment dringender als gute Bücher.“

Einigermaßen flott, nüchtern und pannenarm brachten danach der Literaturkritiker Martin Lüdke und die sechsköpfige Jury die Verleihung über die Bühne. Ein Preis ging an Thomas Eichhorn und seine tolle Übersetzung von Les Murrays Langpoem „Fredy Neptune“, einer in der Kategorie Sachbuch an Rüdiger Safranski und sein Schiller-Buch, und den Belletristikpreis erhielt Terézia Mora für ihren Roman „Alle Tage“. Der, nur fürs Stammbuch von Klaus Wagenbach, erscheint im Übrigem bei einem Verlag, der zum Bertelsmann-Konzern gehört.

GERRIT BARTELS