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Archiv-Artikel

bettina gaus über Fernsehen Befehlsverweigerung im Namen der Ehre

Bei Sat.1 kämpfen ungehorsame US-Soldaten gegen miese Politiker und Reporter – schon in der dritten Wiederholung

„Politiker und Reporter haben die Miesmacherei des Militärs zu einer Kunstform entwickelt“, sagt Colonel John Farrow im Garten seines Hauses. Man kann seine Verbitterung verstehen: Gegen ihn wird vor einem Militärgericht verhandelt, weil „unsere Führer ihre politischen Interessen über das stellen, was richtig ist“. Oder, um es in der kalten Sprache der Justiz auszudrücken: weil er einem Befehl zuwidergehandelt hat. Dafür hatte er allerdings gute Gründe. Denn „während unsere Leute abgeschlachtet wurden, haben die Politiker nur verhandelt“.

Man sieht viel zu selten fern. Und vor allem: nicht zu den richtigen Zeiten. Schon zum vierten Mal hat Sat.1 am vergangenen Sonntagnachmittag die Folge „Blutige Entscheidung“ der US-Militärserie „JAG“ ausgestrahlt, die in der deutschen Fassung den schönen Untertitel „Im Auftrag der Ehre“ trägt. Laut Pressestelle haben immerhin noch rund 8 Prozent der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen zugeschaut. Zu Spitzenzeiten erreichte die Serie, die seit 1996 in Deutschland zu sehen ist, sogar bis zu 12 Prozent dieses Zuschauersegments. Und bald werden es wohl wieder mehr sein: Für das Jahresende sind neue Folgen der Staffel geplant. Militarismus pur an jedem Wochenende.

Bisher hat man zur Sendezeit stets friedlich sein Mittagsschläfchen gehalten – während auf dem Bildschirm das Leben tobte. In der Folge „Blutige Entscheidung“ halten grausame Rebellen auf Haiti einige Marines gefangen, die sie misshandeln und der Reihe nach ermorden. Was haben die US-Soldaten auf Haiti zu suchen? „Unsere Männer waren in einem humanitären Einsatz, um hungernde Menschen zu versorgen“, erklärt ein US-Captain später dem Gericht und den Fernsehzuschauern. Allerdings wussten die Rebellen die edlen Motive nicht zu würdigen. „Die schlagen unseren Männern die Köpfe ab und schleifen sie durch die Straße“, berichtet ein entsetzter Soldat dem Colonel, als dieser gerade den Befehl erhält, das Ergebnis diplomatischer Bemühungen abzuwarten und nicht militärisch einzugreifen. Es gibt Stunden im Leben, in denen ein Mann das tun muss, was er tun muss. „Ich konnte nicht einfach zusehen, was mit meinen Männern geschah. Selbst auf die Gefahr hin, einen Befehl zu missachten“, erklärt Colonel Farrow später. Leider war dies nicht die einzige Gefahr in diesem Zusammenhang. Etwa 20 Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder, kamen bei der Befreiungsaktion ums Leben. Ärgerlicherweise war ein Fotoreporter anwesend, der in den Rebellen ohnehin Freiheitskämpfer sah und die Ansicht vertrat, die USA unterstützten auf Haiti ein tyrannisches Regime. Eine abstruse Ansicht, selbstverständlich. Aber die öffentliche Meinung lässt sich halt gar so leicht in die falsche Richtung hin beeinflussen.

Gottlob sagt die Mutter eines getöteten Kindes vor Gericht aus. Sie erzählt, wie ein Rebell ihren Sohn als lebenden Schutzschild missbraucht hat – und sie macht die USA nur für eine einzige Sache verantwortlich: dass sie nicht hart genug durchgreifen. Das gilt für alle, außer für Colonel Farrow. Versteht sich. „Dann endlich schickt er Soldaten, um uns zu helfen. Und nun wollen Sie ihn dafür bestrafen. Ich kann Ihr Land nicht verstehen. Können Sie es?“

Doch, durchaus. Die Entscheidungen der USA und ihrer Institutionen sind zwar nicht immer leicht nachzuvollziehen, aber in diesem Fall doch erheblich leichter als die der Programmverantwortlichen von Sat.1. Das Pentagon nutzt die Serie als „Instrument der Politik ins Kriegszeiten“, so die New York Times am 31. März letzten Jahres. Seit Jahren erfreuten sich die Serienmacher einer engen Beziehung zum US-Verteidigungsministerium, heißt es in dem Artikel. Sie dürften an Originalschauplätzen drehen und bekämen militärisches Gerät zur Verfügung gestellt.

Der Verfasser liefert noch ein weiteres, eindrucksvolles Beispiel für die enge Verbundenheit zwischen Unterhaltungsindustrie und Politik: Ein Serienautor habe Einzelheiten über die Planung der umstrittenen Militärtribunale für mutmaßliche Terroristen erfahren – und zwar zwei Wochen bevor US-Verteidigungsminister Rumsfeld die entsprechenden Informationen auch einer breiteren Öffentlichkeit mitteilte. Schlussfolgerung der New York Times: Das sei eine erstaunliche Demonstration dafür, dass Hollywood vom Pentagon im Zusammenhang mit der Imagepflege mindestens genauso ernst genommen werde wie die Nachrichtenmedien. „Wenn nicht sogar mehr.“

Bleibt die Frage: Gilt das auch für die Programmverantwortlichen von Sat.1? Oder wissen die einfach nicht, was sie tun?

Fragen zu Haiti? kolumne@taz.de