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Archiv-Artikel

bernhard pötter über Kinder Orkantief, geschlechtergerecht

Warum sind immer nur Mädchen zickig? Und wie beleidigt man korrekt einen Jungen?

Im Jahr 2078 wird die taz sterben. Nach sehr langer und sehr schwerer Krankheit wird Deutschlands kleine tapfere Zeitung das Zeitliche segnen. Und wenn sie dann in den Zeitungshimmel kommt, wird Zeitungspetrus sein goldenes Buch hervorholen, sie über seine randlose Erich-Böhme-Brille ansehen und fragen: „Na, taz, was hast du zu deinen Lebzeiten dazu beigetragen, dass die Welt ein wenig besser wurde?“. Und die taz wird sagen: „Ich habe das I wie in PolitikerInnen eingeführt. Und ich habe mitgeholfen, dass die Metereologen in Deutschland inzwischen den Hochs nicht mehr nur männliche Namen geben.“ Und Petrus wird brummen: „Na, immerhin.“ Und dann wird er den großen Schlüssel holen und die taz in den Zeitungshimmel einlassen, wo es fette Anzeigenaufträge, zufriedene Leser, hervorragende Journalisten und jeden Tag tolle Exklusivgeschichten gibt. All das wird passieren, weil die taz darauf bestanden hat, dass Frauen nicht zickiger sind als Männer.

Das dachte ich bisher auch immer. Aber dann bekamen wir eine Tochter.

Tina stampft mit dem Fuß auf den Boden, dass es kracht. „Will nicht Wanne!“, heult das Echo von den Kacheln im Bad. Unter ihrem trommelfellzerfetzenden Protestgebrüll wasche ich ihr die Sandkruste vom Leib. Kaum ist sie draußen und abgetrocknet, kaum sitzt ihr Bruder friedlich in der Wanne, bricht wieder der Orkan los: „Will Wanne!“. Der Derwisch, der meine Tochter sein soll, versucht sich mit frischer Windel und trockenem Schlafanzug ins Wasser zu den Spritzfischen zu stürzen.

Und sie ist nicht allein. Ihre Freundin Petra kreischt beim geringsten Unmut in so hohen Tönen, dass ihre Mutter sich bruchsicheres Kunststoff in die Brille einsetzen ließ. Und Lena jämmelt und quengelt und schluchzt und nörgelt wie ein Klageweib mit 40 Jahren Berufspraxis.

Alle diese Mädchen sind furchtbare Zicken. In der Zeit vor 1999 hätte man die schönsten Orkantiefs nach ihnen benannt.

„Unsinn“, sagt unsere Freundin Julia, kinderlos und mit leicht zänkischem Ton in der Stimme. „Es gibt keinen Grund, warum Mädchen zickiger sein sollen als Jungen.“ Das stimmt. Es gibt keinen Grund dafür. Aber es ist trotzdem so.

Denn wo man auch hinsieht: Mädchen sind Zicken. Jungen nicht. Später werden aus den Zicken dann Furien. So was hört man von jungen Männern nicht. Im Gegenteil. Wenn sie sich richtig beleidigen wollen, nennen sie sich gegenseitig mit einem Mädchennamen „Heulsuse“. Oder gleich, oh Abgrund der Schmach: „Du Mädchen!“

„Und warum ist das so?“, fragt Julia, die Furie. „Weil Mädchen von früh auf dazu erzogen werden, dass sie sich nicht prügeln, sondern schreien, wenn ihnen was nicht passt.“ Vielleicht ist Julia so erzogen worden. Würde sie die gerade Linke von Lena sehen, mit der sie Julian niederstreckt, dächte sie anders darüber.

Der Grund ist viel banaler: Der deutschen Sprache fehlt ein Wort für männliche Zicken. Wahrscheinlich weil wir Männer (Miesepeter) das sehr aufmerksam verhindert haben. Zwar gibt es den Bock, aber den hat Jonas nur ab und zu. Bocken kann er dagegen sehr gut. Aber Tina kann das auch – eine Zicke, die bockt. Aber grundsätzlich gibt es für Zicken, Furien, Diven, Schlampen oder Heulsusen einfach keine wirklichen Entsprechungen mit XY-Chromosomen.

Das heißt: Es gibt keinen Begriff dafür. Männliche Zicken gibt es ja genug. Jonas’ Freund Martin macht konsequent und mit beleidigtem Gesicht genau das Gegenteil von dem, was er soll. Yassim geht schon in die Schule, bricht aber in heftige Weinkrämpfe aus, wenn er nicht SOFORT das Schlumpfeis bekommt. Aber wie nennen wir diese Nevensägen? Zicken? Das verbietet das Sprachgefühl.

Wer diese Ungerechtigkeit ändern will, hat keine Chance. Aber Aufmerksamkeit ist ihm (das heißt: wahrscheinlich ihr) gewiss. Was weiß ich noch von einem ganzen langen Semester Soziolinguistik? Nur dies: Es gab eine Frau namens Luise Pusch, die die deutsche Sprache einer feministischen Kritik unterzog. Ihr Ausgangspunkt, soweit ich mich entsinne: die Tampon-Werbung mit dem Slogan „Die Regel ist bei jedem anders“. Und dann diskutierte das Seminar den Vorschlag, nicht mehr die weibliche Berufsbezeichnung von der männlichen abzuleiten („Pilot/Pilotin“), sondern eine neutrale Bezeichnung mit einer weiblichen und einer männlichen Form zu wählen („Pilot/Pilotin/Piloterich“). Frau Pusch hatte meine volle Unterstützung, die Ungerechtigkeiten der deutschen Sprache zu beseitigen.

15 Jahre und eine Tochter später bin ich da nicht mehr so sicher. Eigentlich finde ich es ganz gut, wenn Jonas Anna „Meckerziege“ nennt, mich aber nicht „Meckerbock“. Und irgendwie sind die Frauen selbst schuld, dachte ich letzte Woche. Da kam Lenas Mutter Anja, um ihre kleine Furie aus dem Kindergarten abzuholen. Und was stand auf Anjas T-Shirt? „Zicke“.

Fragen zu Zicken?kolumne@taz.de