bernd müllender über Plagen : Lieber Staumeldereien als Werbungsschund
Der WDR-Sender „1live“ zeigt uns die Autobahn als Begegnungsstätte von Mensch, Maschine und Tier
Immer mal wieder ist von der Renaissance des Radios zu lesen und manchmal auch zu hören. Das geschieht vornehmlich, wenn Kulturpessimisten köpfewiegend das schundhafte Fernsehen geißeln mit seinen Containershows, zu vielen C-haften B-Movies, Superstars und sonstigen Schmuddeleien. Dabei kann einen Radiohören auch zum Wahnsinn treiben.
Die Rede soll gar nicht sein von den hunderten Eintopfsendern mit ihrem immergleichen Billigbilligprogramm, dessen Ausstrahlung einem das Hirn verwölkt. Die Rede sei hier vom WDR, vom guten alten „Rotfunk“, wie ihn Franz Josef Strauß einst nannte. Der Westdeutsche Rundfunk versteht sich als Servicesender und meldet Autobahnstaus. Nun ist Nordrhein-Westfalen groß, der Autobahnen gibt es unzählige, und darauf ist immer „zähfließender Verkehr“. Halbstündig werden einem minutenlang die Autobahnen des Landes verlesen. WDR-Sender „1 live“ nennt das noch semiwitzig „Stau-Schau“.
Die Erfindung des Mobiltelefons hat die Mobilitätsdurchsagen grundsätzlich verändert. Kaum noch gibt es Fahndungsdurchsagen für fernmündlich Unerreichbare („Herr Maier-Schlupfbach, unterwegs im Raum Norddeutschland, amtliches Kennzeichen unbekannt, dringend den Bruder anrufen“), weil fast jeder Maier-Schlupfbach mit einem Quasselknochen unterwegs ist. Aber dafür sind tausende Maier-Schlupfbäche als Staumelder und Gefahrenhinweiser unterwegs. Wer irgendetwas Ungewöhnliches sieht, ruft den Sender an. Und die unterbrechen ungeprüft das Programm. Zusätzlich zum Halbstundenterror. Also dauernd.
Da tauchen immer seltsamere Nichtautos auf: Kanthölzer, Reifen, ein Tisch, sogar schon ein Rollstuhl. Das alles liegt auf deutschen Autobahnen herum. Unterwegs ohne Autos sind: Räder mit Radfahrern, spielende Kinder, Kinder ohne Angabe von Tätigkeit, Kühe und sehr gern „Achtung, Pferde auf der Fahrbahn“. Die Autobahn also als Müllabladeplatz und Begegnungsstätte von Mensch, Maschine, Tier. Man möchte nach Bremen umziehen. Radio Bremen hat ganze zwei Autobahnen im Sendegebiet und nur ein Dreieck, nicht mal ein Kreuz. Da sind Staus so selten wie gutes bremisches Wetter.
Dann aber kommt Reklame, und man möchte ab sofort lieber nur noch Staumeldungen hören. Werbung wie die von Herrn Seitenbacher und seinem Müsli und die von den evolit-Heizungen. Da sprechen Stimmen, die nicht vorgeben müssen, sie seien sie selbst. Das sind keine Schauspieler – die Firmenchefs persönlich klären auf!
Entsprechend klingt das. Wie der Herr Seitenbacher mit seiner Hallo-Kinder-Stimme und seinem Scheinökodasein:„Seitenbacher-Fruchthütchen! Kaufen!“ Die Steigerung ist: „E.v.o. informiert“. E.v.o. ist eine Heizungsfirma, für Elektroflächenteilspeicherheizungen. So heißt das. Machen Wärme aus Strom. Keineswegs auch nur teilöko, aber man garantiert dafür, dass „keinerlei gesundheitsgefährdende Teile von Asbest“ verwendet würden. Gesundheitsfördernde Asbestteilchen schon?
Egal. Die Spots sind Gemütsasbest. Tagelang kommen sie im Halbstundentakt. Heizungswerbung mitten im Sommer 2003, bei Temperaturen, die vermutlich noch jede Teilspeicherheizung in die Luft gejagt hätten. „Sehr geehrte Damen und Herren“, beginnt die Ansprache, „wir ziehen alle Register der Naturgesetze.“ Weiter: „Unser Labor hat gezaubert.“ Die Elektrowärmemaschinchen seien „lebenslang wartungsfrei“ und bieten „Kosten an der Untergrenze der Möglichkeiten“. Konkurrenten? Liefern nur Plagiate: „Minderwertiger Schrott“. „Und das Beste: Die Heizung sieht auch noch gut aus.“
Nein, das Allerbeste ist die Servicenummer. Die wird von einer Frauenstimme jedes Mal mit Wiederholung voll durchgelispelt. Das brennt sich ein. Das kriegt man nicht mehr aus dem Kopf. Sie spricht absichtlich falsch. „Rufnummer Null-800-Zweihundertfünnsßich-fünnsßich-fünnsßich.“
Aus, aus, aus – wie geht das aus? Dieser Satz ist eine Anspielung auf den Radioreporter Herbert Zimmermann beim Fußball-WM-Finale 1954. Und schon sind wir beim nächsten Horror der Radiowelt. Das so oft so hoch gelobte Bundesliga-Konferenzgestammel des Samstags. Eine Zumutung, der Seitenbacher-e.v.o. des Sports. Das, sorry, sage ich als großer Freund des Balles. Näheres beim nächsten Mal.
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