berliner szenen: FragenderZeit
Ein kurzer Schreck beim Blick nach oben: Der große goldene Zeiger am Rathausturm in Neukölln ist schon zum zweiten Strich vorgerückt, demnach ist es zehn nach fünf. Um 17.12 Uhr habe ich einen Termin im Bürgeramt, um einen neuen Reisepass zu beantragen. In zwei Minuten das Rad anschließen und das richtige Büro finden, das wird knapp. Wochenlang habe ich auf den Termin gewartet, es wäre wirklich blöd, ihn jetzt zu verpassen.
Dann der Blick aufs Handy, 17.07 steht da. Alles halb so wild, die Rathausuhr geht offenbar vor. Ist das Absicht, frage ich mich, während ich durch die Gänge des Rathauses irre und schließlich im Warteraum Platz nehme.
Unsere Küchenuhr geht auch ein paar Minuten vor. Seit Jahren ist das so, und alle wissen es. Aber für den Bruchteil einer Sekunde glaubt man eben doch, dass es später ist als angenommen. Schon fließt genug Adrenalin durch den Körper, dass man sich beeilt. So hilft uns dieser kleine Selbstbetrug, etwas weniger oft zu spät zu kommen.
Auch die Uhr im taz-Foyer geht zwei Minuten vor – und bewirkt bei mir regelmäßig, dass ich schwungvoller die Treppen in die Redaktion hinauflaufe.
Ist die verstellte Turmuhr also eine pädagogische Maßnahme für uns schludrige Bürger*innen, die wir es sonst nicht auf die Reihe kriegen? Selbstbetrug ist das eine, auch die taz darf mir meinetwegen auf die Sprünge helfen. Aber ob ich mich vom Bezirksamt erziehen lassen möchte, da bin ich mir nicht so sicher.
Der Termin für den Reisepass geht dann sehr zügig. Eine freundliche junge Frau lässt mich mehrere Dokumente unterschreiben und nimmt Fingerabdrücke. Um 17.28 Uhr bin ich wieder draußen auf dem Vorplatz des Rathauses. Das heißt: Laut Turmuhr hat es doch etwas länger gedauert, bis kurz nach halb sechs. Antje Lang-Lendorff
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