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Archiv-Artikel

beau de jour JONATHAN EDWARDS macht seine letzten große Sprünge

Gott terminiert den Rücktritt

Manchmal kann man es richtig sehen, wenn eine Zeit sich ihrem Ende zuneigt. Die Dinge haben sich verändert, und auch wenn es sich dabei bisweilen nur um Winzigkeiten handelt, um kleinste Details, so kann man doch fühlen, dass es irgendwie anders geworden ist, als es bisher war – und die besten Tage somit in Bälde schon vorbei sein werden. Der Dreispringer Jonathan Edwards ist dafür ein gutes Beispiel, jedenfalls sein Auftritt am Samstagmorgen in der WM-Qualifikation im Stade de France: Edwards ist angelaufen, ist dreimal gehüpft, was im Dreisprung Hop, Step und Jump heißt, und schließlich im Sand gelandet bei 16,94 m. Das war die sechstbeste Qualifikationsweite und ist immer noch sehr gut, aber es war dennoch nicht mehr der Edwards, den man von früher her kennt. Irgendetwas fehlte dem Sprung, dieser faszinierende Hauch von Leichtigkeit, diese Schwerelosigkeit, die kein anderer Dreispringer auf der Welt jemals erreicht hat und die den Briten zum Olympiasieger gemacht hat, zweimal zum Weltmeister und zum Weltrekordler. Auf sagenhafte 18,29 m hat er die Bestmarke gesetzt, 1995 bei der WM in Göteborg war das.

Manchmal spüren es die Menschen, wenn ihre Zeit sich dem Ende zuneigt, auch wenn gerade großen Sportlern das bisweilen schwer fällt. Jonathan Edwards hat es gespürt – und, so hat er es hier in Paris erzählt, er hat dabei Hilfe erfahren: „Gott hat mir ein Zeichen gegeben, dass es an der Zeit ist aufzuhören“, hat der 37-Jährige auf einer Pressekonferenz gesagt – und seinen Rücktritt nach dieser Weltmeisterschaft erklärt. „Eines Mannes Herz denkt sich den Weg aus, aber Gott lenkt seine Schritte“, hat er dafür eigens aus der Bibel vorgelesen – und dabei sind ihm die Augen etwas feucht geworden. Gottes Entscheidungen können manchmal auch weh tun. Gefolgt ist ihnen Edwards, der früher sonntags aus Glaubensgründen nicht an den Start gegangen ist, bis ihm Gott das ausdrücklich erlaubt hat, dennoch.

Das Zeichen, das der grau melierte Brite vom Boss diesmal gesendet bekam, war eine Verletzung am rechten Knöchel, zugezogen vor zwei Wochen beim Grand-Prix-Meeting in London. Edwards dachte, der Knöchel sei gebrochen; er war – Gott sei Dank! – lediglich geprellt. Schon ein paar Tage später konnte Edwards wieder trainieren; selbst sein Trainer, der kein besonders gläubiger Mensch sei, habe das als Wunder akzeptiert.

15 lange Jahre war der gläubige Christ Edwards Dreispringer aus Leib und Seele, nun, nach dem Finale am Montag, hört er auf, Gott hat es sich so gewünscht. „Wenn das Ende meiner Karriere mit einer Knöchelprellung beginnen soll, dann ist das so. Es wird nicht das Ende meines Lebens sein“, sagt Edwards – und dass er dankbar dafür ist, sein Wirken überhaupt auf diese Weise, als aktiver Sportler bei einer WM, beenden zu können – und nicht etwa verletzt.

Am nötigen Ehrgeiz scheint es ihm zudem nicht zu fehlen, auch wenn der Knöchel keineswegs schon ganz geheilt ist und der Start durchaus ein kleines Risiko darstellt. „Ich bin nicht hierher gekommen, um nur Lebewohl zu sagen, sondern um einen Wettkampf zu bestreiten“, kündigt Edwards an; dass er vor sechs Wochen ziemlich nahe an die 18 Meter gesprungen ist, macht ihm auch fürs Finale heute Abend Mut. „Ich glaube, ich bin in guter Form“, sagt Jonathan Edwards. Und in Glaubensdingen kennt er sich schließlich aus. FRANK KETTERER