ausstellung : Anrührend nostalgische Engelchen
Köln sieht sich gern als Großstadt. Köln ist up to date, setzt Trends, folgt Trends – auch dem megahippen Retrotrend. Köln schaut zurück und entdeckt Anrührendes und Nostalgisches. Zum Beispiel bei der Kölner Fotofirma Sander, die ihren Sitz an der Straße Unter Krahnenbäumen hat. Dort läuft eine Ausstellung historischer Aufnahmen, Thema: Unter Krahnenbäumen, die Jahrhunderte alte Straße, die Gegenstand so vieler Texte und Lieder ist, dass Adam Wrede ihr im „Neuen Kölnischen Sprachschatz“ stolze 29 Zeilen widmet.
Was die Severinstraße für die Südstadt, war Unter Krahnenbäumen für den Norden: Hier lebten die Urkölner, hier sprach der Volksmund, hier lag das Epizentrum der „kölschen Art“ – bis der Krieg alles kaputt machte. Schon 1950 erklärt das „Altkölnische Bilderbuch“ die Straße für tot – noch bevor die Nord-Süd-Fahrt den gewachsenen Lebensstrukturen kleiner Leute endgültig den Garaus machte.
Die rund dreißig Fotos bei Sander stammen aus den 50er Jahren. Gemacht hat sie der Fotograf Chargesheimer für seine Bildbände „cologne intime“ (1957) und „Unter Krahnenbäumen“ (1958), die Originalaufnahmen in der Ausstellung gehören dem Museum Ludwig, das sie gegen Gebühr ausgeliehen hat. Allen Toterklärungen zum Trotz zeigen die Schwarzweißbilder eine lebendige Straße: Mütter und Kinder in Hauseingängen, pittoreske Tünnestypen auf der Kirmes, eine Fronleichnamsprozession mit weißgekleideten Mädchen, die skeptisch in die Kamera blicken, Bildunterschrift: „Mir sin Engelcher, ihr Arschlöcher“.
Manchmal erinnert die enge Gasse an Chabrols „Phantom des Hutmachers“, meist jedoch an Neapel – immerhin gilt Köln als die nördlichste Stadt Italiens. „Straßen wie diese“ heißt der Begleittext von Heinrich Böll im Bildband „Unter Krahnenbäumen“. Darin heißt es: „Straßen wie diese bilden sich nicht mehr neu.“ Und ein Ausstellungsbesucher hat ins Gästebuch geschrieben, ein wenig nostalgische Rückschau sei ja gut und schön, aber sollten wir uns nicht lieber um das heutige Kölner Stadtbild Gedanken machen? Vielleicht ist diese Ausstellung ein Impuls.
Holger Möhlmann
„Chargesheimer – Unter Krahnenbäumen“: Sander Digital Pictures, Unter Krahnenbäumen 9 in Köln, bis 10. Mai, Mo-Fr 9-18 Uhr