ausgehen und rumstehen : Döner oder Album? Neue Fragen werden wichtig
Wenn der Ball nicht mehr rollt, kommt die Ernüchterung. Was tun? Schon die zwei Tage Pause vor dem Finale zwangen einen plötzlich, einen Plan für die Zeit zu erstellen, in der man nicht arbeitet. König Fußball stand nicht mehr Spalier und die Menschen erkannten, dass es doch noch andere Gesprächsthemen gibt als das unerwartete Ausscheiden des ein oder anderen Favoriten.
„Lass uns doch einfach mal spazieren gehen!“, lautete einer der Vorschläge zum Zeitvertreib. Eigentlich gar nicht so die schlechte Idee, beim Spazierengehen läuft man nicht Gefahr, Unmassen von landesspezifischen Bieren zu trinken oder noch ein Nackensteak auf den Grill zu packen. Andererseits habe ich zuverlässige Informationen, die belegen, dass der Anteil der Waldläufer, die eine Leiche finden, deutlich höher ist als z. B. der derer, die einen Schatz finden. „Morti natus es!“, bekam ich als Antwort auf meine Bedenken zu hören, und nachdem ich nachgeschlagen hatte, erfuhr ich also: „Für den Tod bist du geboren!“
Ich bemängelte die Umständlichkeit ihres Kommentars, kann man doch, statt Asterixhefte nach Zitaten zu durchstöbern, auch einfach deutsches Liedgut bemühen. So sangen die wunderbaren – und leider gerade ihre Auflösung bekannt gebenden – Knorkator kurz und prägnant: „Da gibt es kein Entrinnen, da kommt nichts mehr ins Lot, die Party ist zu Ende, bald sind wir alle tot!“ So dramatisch war es zwar noch nicht ganz, aber wie wir so verloren herumstanden, erkannte ich, dass wir nach diesem Monat erst mal wieder lernen müssen, wie man sich ohne die quadratische Kiste auf dem TV-Tisch die Zeit vertreibt. Ein Anruf erlöste mich aus der unfreiwilligen Lethargie und eine Stimme befahl mir, mit ihr ein Konzert zu besuchen. Ich hasse es, Konzerte mir unbekannter Bands zu besuchen, und dementsprechend gelaunt machte ich mich auf den Weg zum Knaack, nicht ahnend, gleich eine der furiosesten Liveshows meines bisher äußerst kurzen Daseins zu erleben. Das Trio – bestehend aus einem einfühlsamen Gitarristen, einem konstant gutem Bassisten sowie einem Schlagzeuger, der den Saal durch seine diversen Soli zum Kochen brachte – nennt sich „Equalizer“, und wenn sie irgendwann auch mal einen Sänger haben, prophezeie ich entweder große Erfolge oder totale Erfolgslosigkeit aufgrund des zu hoch angesetzten Niveaus. Als der Bassist erklärte, ihr Album wäre für 3 Euro an der Kasse zu bekommen, grölte jemand: „Döner oder Album? Döner oder Album?“, und der Saal antwortete geschlossen: „Album!!“
Benommen taumelten wir auf die Greifswalder Straße, sprangen ins nächste Taxi und ließen uns ins Kiki Blofeldt kutschieren. Der südländische Taxifahrer wurde natürlich sofort von mir auf das Halbfinale Deutschland – Türkei angesprochen. „Warste sauer?“ „Nee, nee.“ „Ich mein, weil ihr diesmal inna 90. einen reinbekommen habt?“, er zuckte mit den Achseln. „Kein Fußballfan?“, löcherte ich ihn weiter. „Doch, doch …“, antwortete er etwas gelangweilt. „Kurde?“ Endlich grinste er mich nickend an und wir diskutierten über Erdogan, den sakulären Staat und die PKK. Es ist also tatsächlich möglich, über den Umweg Fußball ein ordentliches Gespräch zustande zu bringen, das sich nicht ums runde Leder dreht.
Nun sind wir also doch nicht Europameister und wieder beschleicht einen die Erkenntnis, dass der Weg das Ziel war und man sich – im Gegensatz zu den reich entlohnten Spielern – nichts davon kaufen kann, einen (für die Fans sowieso imaginären) silbernen Pokal zu besitzen oder nicht. JURI STERNBURG