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Archiv-Artikel

ausgehen und rumstehen In Rio würde man dafür erschossen

Das humoreske Highlight des Jahres findet zwischen Potsdamer Platz, Unter den Linden und Gendarmenmarkt statt. Mit 60 Festwagen und 15 Tonnen Wurfware. Da man schon bei der Grünen Woche war, musste man jetzt auch zum Berliner Karneval.

Sonntag morgens schneit es. Das freut einen, weil es den Karnevalisten ihr Handwerk erschweren wird. Bei der Kälte werden wohl auch kaum eine Million Leute kommen. Als man sich dann mit dem Rad der Leipziger Straße nähert, ist alles fast wie sonst, nur dass die Billigläden ihren Schließtag haben. Dann ein paar merkwürdige Geräusche, jemand mit schwarzer Perücke, Highheels und Bart kotzt gerade ins Gebüsch vor einem Hochhaus. Hundert Meter weiter sperrt die Polizei gelangweilt die Straße. Dahinter Tänzerinnen in merkwürdiger Glitzertracht und langen, nackt wirkenden Beinen. Dann ein Lkw mit Anhänger, aus den Boxen dröhnt es immer wieder „1, 2, 3, 4 – Caipirinha trinken wir“. Klingt wie ein Befehl. Die nicht wirklich zahlreichen Leute trinken lieber Glühwein.

Der große „Kaiser’s Truck“ zieht vorbei, ein paar Leute auf dem Wagen winken und werfen mit Süßigkeiten. Man fährt mit dem Rad vor zum Gendarmenmarkt. Wagen 15 der „Charlottenburger Karnevalsgesellschaft“ ist blau-gelb angepinselt. Neben den kostümierten Rentnern auf dem Tieflader steht sehr schlecht getarnt ein großes Dixi-Klo. Ob so etwas in Mainz oder Köln oder Rio auch passieren könnte? In Rio würde man dafür bestimmt gleich erschossen. In Köln gebützt.

Überhaupt Köln. Soll ja erotisch ein ganz heißes Pflaster sein. Ich kenne eine Kölnerin, die mal was mit einem echten „Tatort“-Kommissar-Schauspieler hatte. Ein neuer Wagen mit der kryptischen Aufschrift „Familien Farm Lübbars“. Will man mit diesem Vehikel die Familienministerin narren? Sieht mehr nach Unterstützung der Rentenkasse aus, lauter Kinder in merkwürdigen braunen Ganzkörperpelzen mit gelben Ohren winken. Eine neu entdeckte Bärenart? Wenigstens ist kein Klo zu sehen.

Überhaupt, die Politik. Sollte man nicht große Figuren haben, die Politiker verulken? Einen aufgeblasenen Riesenstoiber? Nichts zu sehen. Nur die Aufschrift „Die K-Frage: Kladow, Kinder, Kanzlerin“. Dann später, schon sehr gewagt: „Angie, Schicksalsjahre einer Kanzlerin“. Die Leute, die heute nicht zu Lidl können, haben ihre Schirme mitgebracht, umgedreht und nehmen den Umstehenden Popcorn, alte Schokoriegel und bunte Bonbons weg. Von einem Wagen wirft man sogar Blutwurstpackungen. Wer ist eigentlich dieser Hajo, nach dem immer gerufen wurde? ANDREAS BECKER