ausgehen und rumstehen : Nicht wundern, dass Spatzen den Frühjahrsputz verpatzen, wenn die Hochkultur Volksfest spielt
Am Freitag ist es doch noch Frühling geworden. Tiere und Menschen erwachen, das Büro ist voller Röcke und Beine, und ich habe Hoffnung, dass der verdammte See aus Eis vor meiner Haustür endlich verschwindet.
Abends in der Auguststraße drücken sich aufgeregt in allen Sprachen der Welt plappernde Menschen an den Häusern entlang, kaufen bei fliegenden Händlern Bier, trinken im Freien und spielen Volksfest in der Hochkultur. In letzter Sekunde schmuggeln wir uns ins Innere der KunstWerke – an die Uhrzeiten in dieser Szene muss ich mich noch gewöhnen – und finden uns in einem Raum wieder, durch den sich ein riesiger Tisch voller selbst gebastelter Märklin-Häuser windet. Jedes für sich strahlt das Heile-Welt-Spießertum von Modelleisenbahn-Landschaften aus. In ihrer sinnlosen Aneinanderreihung bewirken sie jedoch das Gegenteil und gleichen einem dieser Fieberträume, in denen man durch eine leer gefegte Welt irrt.
Die sich bereits andeutende schlechte Laune wird mit jedem erklommenen Stockwerk schlimmer. Ich weiß nicht, ob es an meinem Hunger liegt oder an der diskreten Düsternis, die einen durch diese Ausstellung begleitet wie ein depressiver Freund. Mal wieder erleben, wie es sich anfühlt, wenn einem etwas ganz schnell den Magen umdreht? Im zweiten Obergeschoss, vor der großen Leinwand: Dort formen drei Projektoren eine Art Video-Triptychon, das unterschiedliche Alkoholiker im Endstadium zeigt. Fast vollständig besinnungslos stolpern sie durchs Bild, knallen vor den weißen Hintergrund, rutschen daran ab, halten sich aneinander fest und führen eine schwankende Endzeit-Performance auf, die gar keine Performance ist, sondern echtes Unglück.
Lieber Künstler, ich hoffe, Sie haben Ihre Protagonisten mehr als fürstlich dafür entlohnt, dass sie sich einer anderen Welt nicht nur derartig zeigen, sondern dass diese Welt – nennen wir sie mal unbeholfen die der Glücklicheren – sie auch unbegrenzt und immer wieder beglotzen darf.
Dagegen wirken die drei Filme des Wiener Aktions-Schweinepriesters Otto Mühl richtig fröhlich, obwohl es ihnen an Blut und anderem schwer definierbarem Schmier nicht mangelt. Im Gegenteil: Es spritzt und stäubt und blubbert gewaltig, aber wenigstens wirkt hier nicht alles tot oder schockstarr wie so vieles in dieser Schau. „Ich will alles ins Leben überlaufen lassen. Und ich muss sagen, es geht, es geht“, hat Mühl mal über seine Kunst gesagt.
Bei uns geht’s dagegen kaum mehr. Wir schleppen uns gerade noch nach schräg gegenüber in die Auguststraße 10, wo seit einiger Zeit immer sonntags der besuchenswerte Salon „Evas Arche und der Feminist“ stattfindet. Heute trifft sich hier eine etwas andere Szene: Im Rahmen der „Strohballenbau-Informationstage“ informiert die Crème des internationalen Lehm- und Strohballenbaus in standesgemäßer Heuschober-Kulisse über Weiterbildungsmöglichkeiten als „Gestalter/in für Lehmputz“.
Danke, ich lasse mir das mal durch den Kopf gehen. Ansonsten habe ich an diesem Wochenende schon wieder die Paloma Bar, „die neue Skylounge am Kotti“, verpasst, dafür aber auch noch anderes gesehen, das insgesamt den Kreis meiner Eindrücke von der diesjährigen Berlin Biennale schloss. Traurig nämlich war ein grotesk verfärbter ehemaliger Schoßhund, der zur Pennerclique am Kotti gehörte. Noch trauriger aber waren die Spatzen am Samstag vor meinem Haus. Sie badeten in einer Pfütze, als wären sie an der Küste von Amalfi. „Ach, wie die Tiere sich freuen“, dachte ich. „Haben sich den ganzen Winter nicht waschen können.“ Dann sah ich, was sie sich aufs Gefieder schmierten: Ihr Glück war eine Öllache. LORRAINE HAIST