ausgehen und rumstehen : Poeten in weißen Kragen tanzen
Wenn einmal im Monat der Broken Hearts Club zum Tanz ruft, beginnt das Wochenende schon donnerstags. In einem alten Berliner Ballhaus heißt es dann, traurig dahinzuschmelzen auf glamourösem Niveau. Auf den Tischen stehen aus alten Tagen sichtbar nummerierte Telefone, von denen man auch heute noch die favorisierten Nachbarn anrufen und anflirten kann. Licht ist rot schimmernd bis kaum vorhanden. Und jeder, der Hipster nur buchstabieren kann, schmeißt sich in Schale und bestellt von seinen letzten Kröten das Taxi.
Einmal im Monat kommen jene Leute aus ihren Löchern, von denen man immer vergisst, dass es sie auch in Berlin gibt: die Schönen, die Erfolg Suchenden, die Stilsicheren und Unbeherrschten. Was zu Beginn des Abends noch etwas gezwungen vulgär und aufgesetzt wirkt, steigert sich langsam zu einer ausschweifenden Party von einer Aufgeregtheit, die man sonst nur von der Schauspielschule kennt.
Man kann das alles natürlich nur aushalten, wenn man sich vorher stärkt. Deshalb hieß es zur Ausstellungseröffnung des philosophischen Lichtarchitekten Richard Kelly im Postbahnhof zu gehen. Denn dort lernte man nicht nur, wie man Bauhäuser in ambiente Lichtlounges verwandelt, sondern vor allem wurde man wahnsinnig gut versorgt. Nicht enden wollende Gläschen mit Sektchen, Häppchen, Törtchen und Spießchen wurden serviert. Man konnte zwar partout nicht erraten, aus was die Feinheiten bestehen, doch sie schmeckten so raffiniert, wie sie gestaltet waren.
Dass das Buffet nie mehr Eindruck machen sollte als die Kunst selbst, darauf achtet man in den Kunst-Werken in der Auguststraße. Sie führen erst gar nicht in kulinarische Versuchung. Nichts gibt es hier umsonst. Was aber nicht zu Askese führt. Am Samstag luden die Macher zur Eröffnung der Ausstellung über „Berlin Alexanderplatz“, der ehemals fürs Fernsehen produzierten Serie Rainer Werner Fassbinders. Dafür wurde im Erdgeschoss ein Raum in den Raum gebaut, der dem Hinterhof in der ersten Folge von Fassbinders zehneinhalbstündigem Mammutwerk nachempfunden ist. Auf der Party dazu im ersten Stock schaffte DJ Female Macho innerhalb weniger Stunden den fast fließenden Übergang von tollem Disco-House zu schrecklichen Gitarrenwänden. Dass die Musik zu Beginn noch schön war, konnte man daran erkennen, dass Rainald Goetz gleichzeitig dazu tanzen und sein Moleskin vollschreiben konnte. Tolles Bild.
Jetzt Hunger. Also schnell in die Gipsstraße, wo ein kleines feines Ramen-Restaurant mit dem Namen Cocolo öffnet. Das als mobile Suppenküche zu Ruhm gekommene Projekt hat nun einen festen Ort. Beim japanischen Essen bespricht man die nächsten Punkte des Nachtprogramms. Es soll ins KIM gehen, wird man sich schnell einig. Eine neue Bar auf der Brunnenstraße, in der das Galerieflair von weiß-kahlen Wänden mit dem charmanten Laisser-faire alter Berliner Partytugenden zusammentrifft.
Die letzten Stunden des Abends wurden dann im Watergate zu der Erkenntnis geravt, dass die DJs heutzutage besser angezogen sind als jemals. Carsten Kleemann mit Schlips. Efdmin in Pollunder, beide in einem ordentlichen Hemd. Die Berliner Protagonisten stehen mit ihren Crews MyMy und dem Hamburger Label Dial nicht nur musikalisch für einen neuen Stil. Das wundert die drogenschwangere Meute noch ein bisschen. Auch mit Pepe Bradock, der gerade spielenden französischen Ikone, tut sie sich noch etwas schwer. Jemand, den wir hier nicht erwartet hätten, gibt ekstatisch tanzend den Takt vor. Wieder ein deutscher Poet in weißem Kragen, man freut sich also doppelt: Dirk von Lowtzow, Sänger von Tocotronic, wild tanzend zu flirrenden House Beats. „Es gibt nur cool und uncool und wie man sich fühlt,“ wie Tocotronic singt. TIMO FELDHAUS