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Archiv-Artikel

arztfehler vor gericht Kein Urteil ohne Obduktion

„Es ist wie beim Mannesmann-Prozess“, sagt der Anwalt der Nebenklage. „Nur zwei Nummern kleiner.“ Mit einer Einstellung endete gestern ein Prozess vor dem Amtsgericht, bei dem vier Ärzte der fahrlässigen Tötung beschuldigt wurden. Die Angeklagten zahlen jeder 2.500 Euro an die Tochter der Geschädigten, die im Prozess als Nebenklägerin auftrat. Zudem müssen sie deren Gerichtskosten begleichen.

Anfang April 2001 suchte die 70-jährige Ilse H. ihre Hausärztin auf. Die überwies die pensionierte Krankenschwester in ein Lichtenberger Krankenhaus. Die Patientin litt an Diabetes und hatte eine vorgeschädigte Niere. Doch die Krankenhaus-Ärztin veranlasste weder eine Blutuntersuchung noch einen Urintest. Einen Tag später wurde der Bauch der Patientin untersucht und ein Nierenleiden bestätigt. Sechs Tage nach der Einweisung ging es ihr so schlecht, dass sie auf die Intensivstation verlegt wurde. Dort entdeckte man eine Harnwegsinfektion. Die Ärzte verabreichten Antibiotika, doch einen Tag später verstarb Ilse H.

Bereits während der Behandlung fielen Ilse H. und ihrer als Krankenschwester ausgebildeten Tochter Unzulänglichkeiten der Behandlung auf. So wurde etwa die Ein- und Ausfuhr von Flüssigkeit nicht dokumentiert – ein wichtiges Instrument, um Aufschluss über die Austrocknung der Patienten zu erhalten. Als die Tochter das beim Stationsarzt monierte, fühlte sie sich abgewimmelt, so ihr Anwalt.

Nach dem Tod ihrer Mutter suchte sie die Ursachen mit der Klinik zu klären, doch der später angeklagte Arzt bestritt die mutmaßlichen Fehler. Erst vier Monate nach dem Tod ihrer Mutter ging die Tochter zum Anwalt. Die Leiche war zu diesem Zeitpunkt bereits eingeäschert.

Darin bestand das Dilemma der Anklage, denn kein gerichtsfestes Gutachten ohne Obduktion, keine Verurteilung ohne gerichtsfestes Gutachten. Das angefertigte Gutachten basiert auf der Krankenakte und bestätigt den Kunstfehler der Angeklagten. Doch das Gutachten hat nicht die Beweiskraft einer Obduktion. Das Verfahren wurde darum bereits schon einmal eingestellt, dann aber nach einer Beschwerde von Nebenklage und Staatsanwaltschaft wieder aufgenommen. Überdies wechselte zwischendurch der zuständige Amtsrichter; so sind sechs Jahre vergangen. Um der Tochter der Geschädigten den Gang durch zwei weitere Gerichtsinstanzen und eine fünfjährige Zivilklage zu ersparen, stimmten gestern Nebenkläger und Staatsanwaltschaft der Einstellung zu.

Damit sei der Rechtsfrieden hergestellt, sagte der Anwalt der Nebenklage und fügte hinzu: „Ich hoffe auf die vermeidende Wirkung dieses Verfahrens, dass also niemand mehr in diesem Krankenhaus an einem Harnwegsinfekt stirbt.“ UTA FALCK