amerika im krieg (12) : Ein Tagebuch unseres USA-Korrespondenten
Studentischer Kreuzzug
Das letzte Mal haben sich die Bewohner von Oxford im amerikanischen Bürgerkrieg bedroht gefühlt. Damals eroberten die Truppen der Nordstaaten die Stadt und verschonten weder Mensch noch Gemäuer. Seither sind hier jedoch die Wörter Bedrohung und Krieg aus der Vorstellungwelt der Menschen verschwunden. Der Heimatort des Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers William Faulkner empfängt einen mit dem unumstößlichen Gefühl ewigen Friedens.
Hat sich seit dem 11. September oder dem Kriegsbeginn irgendetwas verändert? Joe lacht. „Hier? Wir leben wie in einem Aquarium.“ Die Stadt gebe ihm das Gefühl, dass der Rest der Welt nicht existiere. Joe’s Buchladen ziert die Häuser rund um das herrschaftliche Gerichtsgebäude im Herzen der Stadt. Die Gebäude sind restauriert, tragen gusseiserne Balkone, beherbergen Cafés und Boutiquen. Die Ausfallstraßen säumen prächtige Villen, überall wird gebaut. Die Stadt ist so wohlhabend, dass sie sich leisten konnte, Fastfoodketten aus dem Zentrum zu verbannen.
Die Menschen lächeln, grüßen, nicken vertraut und geben einem das Gefühl, immer schon hierher gehört zu haben. Niemand ist in Eile. Die Leute haben Zeit. Oxford ist der Gegenentwurf zur amerikanischen Betriebsamkeit. „Take it easy“, sagt Joe, der mit seinen langen Haaren, dem Flaumbart und Sandalen wie ein Hippie-Nachfahre aussieht, und nirgendwo hat dieser Abschiedsgruß das Lebensgefühl je passender getroffen als hier.
Die Innenstadt geht nahtlos über in den weitläufigen Campus der berühmten „Ole Miss“, der University of Mississippi. Der „Stolz des Südens“ steht über dem Eingang. Studenten liegen unter Schatten spendenden Eichen und Magnolien auf dem Rasen zwischen riesigen Parkplätzen und Seminargebäuden. Die Wohnheime sind nach Geschlechtern getrennt. Dazwischen Kirchen und Büros religiöser Studentenverbindungen.
„Die Universität ist ein Mekka der Konservativen“, sagt David Robins von der Organisation „Campus Crusader for Christ“, was übersetzt so viel wie „Studentische Kreuzzügler für Jesus“ heißt. Nach dem Studium wurde er hauptberuflicher Missionar, leitet Bibelstunden und christliche Männerabende. Einmal die Woche veranstalte er einen großen Gottesdienst, an dem rund 1.000 Studenten teilnehmen würden.
Robins hat keine Sekunde an der Richtigkeit des Irakkrieges gezweifelt. „Als Nachfolger Jesu unterstütze ich Bush bei seiner Mission, die Welt zu verbessern und unterdrückten Völkern Freiheit zu schenken“, sagt er ganz ernsthaft. Er bewundert seinen Präsidenten, der für ihn moralische Integrität verkörpert und glaubt, dass er einen historischen Auftrag nicht nur im Irak erfüllt. Ob es ein Problem sei, dass Bush Religion und Politik vermische? „Wenn Gott wahr ist, ist es doch besser, Religion zum Eckpfeiler staatlichen Handelns zu machen.“
Ausgerechnet diese Universität besitzt eine der renommiertesten Rechtsfakultäten in den Südstaaten. Sie ist Kaderschmiede für spätere Parlamentarier, deren religiöses Sendungsbewusstsein die Politik zu Hause und in Washington beeinflusst. So überrascht es nicht, dass viele Studenten „pro war“ eingestellt sind. Friedensdemonstrationen fanden hier nicht statt. MICHAEL STRECK