american pie : Tigers jagen den Mets-Rekord
Nur noch neunmal verlieren
In der Bundesliga-Spielzeit 1965/66 verlor Tasmania Berlin 28 Spiele und sammelte bei einem Torverhältnis von 15:108 insgesamt gerade mal acht Punkte. Ein Rekord für die Ewigkeit. Im Jahre 1962 verloren die New York Mets 120 Spiele und gewannen gerade mal 40. Auch ein Rekord für die Ewigkeit. Dachte man zumindest. Bis die Detroit Tigers kamen. 111 Spiele haben sie zwei Wochen vor Saisonende bereits verloren, eine neue Bestmarke für die American League. Fehlen also nur noch neun Niederlagen, um die in der National League tätigen Mets einzuholen und den Major-League-Baseball-Rekord einzustellen. Dazu bleiben noch 13 Spiele. „Wie auch immer“, sagt ein frustrierter Tigers-Manager Alan Trammell, „irgendwie müssen wir ein paar davon gewinnen.“
Wie schlecht sind die Tigers? Unglaublich schlecht. Ihre Schlagmänner treffen den Ball am seltensten von allen Teams, im Feld produzieren sie so viele Fehler wie keine andere Mannschaft, und nur die Pitcher der Texas Rangers sind noch unterirdischer als die der Tigers. So schlecht sind die Tigers, dass Mike Maroth in dieser Saison bereits 20 Spiele verloren hat. Das hat seit 1980 kein Pitcher mehr geschafft. Maroth ist 26 Jahre jung, gilt als respektables Talent und ist immer noch der beste Tigers-Pitcher, sonst würde er längst auf der Bank sitzen: Zu seinen 20 Pleiten hat er immerhin sieben Spiele gewonnen – mehr als jeder andere Tiger. „Ich werde noch viele Jahre spielen“, betet Maroth, „aber hoffentlich muss ich so eine Saison wie diese nie wieder erleben.“
Die New York Mets des Jahres 1962 hatten mit Roger Craig und Al Jackson sogar zwei Pitcher mit 20 oder mehr Niederlagen, aber wenigstens eine gute Entschuldigung: Das Team war gerade neu gegründet worden, spielte seine erste Saison und kultivierte erfolgreich ein sympathisches Verlierer-Image. „Das Einzige, was schlimmer ist als ein Mets-Spiel“, sagte damals der legendäre Mets-Manager Casey Stengel, „sind zwei Mets-Spiele an einem Tag.“ Sieben Jahre später gewannen die „Amazing Mets“ dann sogar die World Series.
Eine solche Entwicklung ist in Detroit, das zuletzt 1984 den Titel gewann, nicht zu erwarten. Der Grund heißt Mike Illitch. Der ist seit zehn Jahren Besitzer der Tigers, agiert planlos und steckt zudem den Großteil seines Geldes in seine zweite Profi-Franchise, die Eishockey spielenden Detroit Red Wings, die jedes Jahr mit einem Team voller gut dotierter Stars um die Meisterschaft mitspielen. Daran ist für die Tigers nicht zu denken: Illitch weigert sich, die Millionen auszugeben, die es kosten würde, gute Spieler nach Detroit zu holen oder hier zu halten. Stattdessen werden immer wieder die Besten an flüssigere Teams abgegeben. Im Tausch kommen dadurch zwar immer wieder junge Talente, aber bevor sie allzu gut und damit teuer werden könnten, werden sie schon wieder verscherbelt.
„In zwei, drei Jahren“, verspricht Illitch, „sollten wir ganz gut sein.“ Faktisch aber läuft für Detroit jeden Tag ein Farm-Team auf, das eigentlich in einer so genannten Minor League spielen müsste, wo sich Nachwuchsspieler entwickeln sollen. Dabei spielt das Team seit nunmehr drei Jahren in einem neuen, vom Steuerzahler finanzierten Stadion mit Luxus-Boxen, Parkraumbewirtschaftung und anderen Gelddruckeinrichtungen, das mittlerweile allerdings überdimensioniert erscheint – jedenfalls solange die Tigers nicht ein paar mehr Siege einfahren.
Solange also Illitch auf seinen Millionen hocken bleibt, muss sich Trammell, der vierte Manager in nur fünf Jahren, darauf beschränken, Durchhalteparolen durchzugeben. „So schlecht haben wir gar nicht gespielt“, versuchte er seine Jungs nach einer der vielen Niederlagenserien wieder aufzurichten. Die werden wohl auch in nächster Zukunft vornehmlich damit beschäftigt bleiben, den unrühmlichen Rekord der Mets zu vermeiden. „Eine gute Sache wäre es“, sagt Maroth, „hätten wir diese Saison nur schon überstanden.“ Aber der nächste Sommer kommt bestimmt und mit ihm eine neue Chance für die Detroit Tigers, das Tasmania des Baseballs zu werden.
THOMAS WINKLER