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Archiv-Artikel

american pie Rivalität mythischen Ausmaßes

Wenn die New York Yankees gegen die Boston Red Sox Baseball spielen, gibt es Ärger – und das seit 84 Jahren

Eine Baseball-Saison ist lang. 162 Spiele lang. Und die entscheidende Zeit des Jahres, die Playoffs, hat noch nicht einmal begonnen. Allein 19-mal spielten die New York Yankees bislang gegen die Boston Red Sox. Zum letzten Mal am Sonntag in Boston – und wieder mal wäre es trotz eines klaren 11:4-Heimerfolgs für die Red Sox beinahe zur Schlägerei gekommen. Im achten Inning, das Spiel war längst entschieden, wurde Yankees-Manager Joe Torre auf die Tribüne geschickt, die Spieler stürmten auf das Spielfeld und konnten gerade noch von einer Massenkeilerei abgehalten werden. Dabei hatte das Spiel keine größere Bedeutung: Beide Teams waren bereits für die Playoffs qualifiziert.

Die Handgreiflichkeiten vom Sonntag waren nicht die ersten zwischen Red Sox und Yankees, nicht einmal die ersten in diesem Jahr: Im April prügelten sich die Fans auf den Rängen in Boston, im Juli die Spieler auf dem Platz. „Das ist wie ein Familienstreit“, kommentierte Yankees-Manager Torre, „man spricht es aus, kommt drüber weg und liebt dann wieder jemand ganz anderen.“

Tatsächlich geht die Rivalität zwischen Yankees und Red Sox schon in die vierte oder fünfte Generation. Der Auslöser war ein Spielerwechsel im Januar 1920: Boston verkaufte einen brillanten jungen Pitcher mit Hang zum Bierbauch, mit dem man 16 Monate zuvor die World Series gewonnen hatte, für die damals exorbitante Summe von 125.000 Dollar an die Yankees. Der wurde dort zum Feldspieler und bald zum bekanntesten Baseballspieler aller Zeiten. Sein Name: Babe Ruth. Seitdem haben die Yankees 26-mal die World Series gewonnen, zum letzten Mal 2000, die Red Sox dagegen kein einziges Mal mehr. Diese schwarze Serie wird allgemein dem Fluch des Bambino, so der Spitzname von Ruth, gut geschrieben.

Allerbeste Voraussetzungen also für eine Rivalität von geradezu mythischem Ausmaß: Die reichen Yankees, die mit aberwitzigen Summen die besten Spieler in die Bronx locken, gegen die auch nicht viel ärmeren Red Sox, die meist in die etwas weniger talentierten Spieler investieren. Yankees gegen Red Sox, das ist auch das hektische New York, die Finanz- und Geschäftskapitale der Welt, gegen das eher beschauliche Boston, die intellektuelle Hauptstadt der USA mit den Thinktanks von Harvard und M.I.T. Red Sox gegen Yankees, das ist auch der ewige Kampf Gut gegen Böse, auch wenn die Rollen lange nicht mehr so klar verteilt sind, wie es beide Seiten gerne hätten.

Da mögen die letzten Playoff-Plätze noch so hart umkämpft sein, die 84 Jahre alte Rivalität stellt alles in den Schatten: Zu einem normalen Saisonspiel zwischen Red Sox und Yankees lassen sich knapp 500 Journalisten akkreditieren, mehr als bei manchem World-Series-Spiel.

In der kommenden Woche beginnen die Playoffs. „Noch haben wir nichts erreicht“, sagte Manny Ramirez, Bostons bester Homerun-Hitter. Da die Red Sox momentan in der besseren Verfassung scheinen, könnte es sogar passieren, dass erstmals seit 84 Jahren nicht Boston die Rolle des tragischen Helden in der Inszenierung dieses nahezu klassischen Dramas übernehmen muss. THOMAS WINKLER