american pie : Goldiger Überradler
Die amerikanische Öffentlichkeit hält zu Lance Armstrong, ihrem radelnden Helden. Bis auf weiteres
Amerika liebt Heldengeschichten. Lance Armstrong war ein amerikanischer Held. Und er ist es noch. Ein Großteil der US-Sportfans hat den Radprofi nicht vom Sockel gestoßen. In einer repräsentativen Umfrage von USA Today halten ihn 72 Prozent von fast 35.000 Befragten für unschuldig; es handele sich bei den Dopingvorwürfen um eine Hexenjagd und Skandaljournalismus. Knapp zwei Drittel haben also die Argumentation des siebenmaligen Tour-de-France-Siegers übernommen. Kritisches Hinterfragen? Fehlanzeige. Nur 8 Prozent sehen in Armstrong einen Sportbetrüger, der sich seinen ersten Toursieg im Jahre 1999 durch Epo-Doping ergaunert hat. 21 Prozent wollen sich nicht festlegen und erst abwarten, wie die Sache ausgeht. Ein mehr als eindeutiges Votum.
In Europa haben Helden keinen Vertrag mit der Ewigkeit geschlossen. Sie agieren unter Vorbehalt. Ihr Sturz ist oftmals nur eine Frage der Zeit. Auf dem Alten Kontinent, wo die Ambivalenzen blühen und Widersprüche gedeihen, hat Armstrong seinen Heroenstatus verloren – wenn er ihn jemals innehatte. Frankreich hat Armstrong exkommuniziert. L’Equipe sprach den Bann, dem sich Amerika verschließt. Die Großmacht weigert sich jedoch, Frankreich als Instanz anzuerkennen, die über einen US-Boy befindet, noch dazu einen, der den Frenchmen gezeigt hat, was eine Harke ist.
Nicht nur das US-Sportvolk sieht in Armstrong einen Botschafter des stolzen Amerika, einen großen Individualisten, der unbeirrbar seinen Weg gegangen ist. Im Mittelpunkt des Märchens vom Überradler steht der Sieg über den Krebs, dem sich ungezählte Erfolge auf der Landstraße anschließen sollten. Auch die US-Sportjournalisten springen Armstrong bei und geben dabei oftmals ihre kritische Distanz auf. Sports Illustrated sieht nur kleine Kratzer am Denkmal des Texaners. USA Today schreibt: „Alles, was man machen kann, ist hoffen, dass das alles nicht wahr ist, hoffen, dass es sich um einen Fehler handelt, um einen Rufmord, der in der Substanz weicher ist als französisches Gebäck“, kolumniert Mike Lopresti.
Und weiter: „Alles, was man tun kann, ist hoffen, dass Armstrongs Wort so golden ist wie seine Erfolge auf dem Rad.“ Die Dopingfahnder hätten einen Tanker mit seinen Urinproben füllen können, formuliert er überspitzt, aber gefunden hätten sie ja eigentlich nichts. Warum sich die Presse teilweise als Anwalt Armstrongs betätigt, scheint klar: Einerseits spielen Ressentiments gegen Frankreich ein Rolle. Weit wichtiger ist aber das fehlende Bewusstsein für Sportbetrug in den USA. Der kritische Geist in Sachen Doping reift erst langsam heran. Der Balco-Skandal um das Designersteroid THG war sehr lehrreich, auch der Steroidskandal in der Major League Baseball und möglicherweise nun der Fall Armstrong. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten glaubte bis zuletzt an das schrankenlose Tuning des Körpers. Lange Zeit war dazu jedes Mittel recht. An der nächsten Ecke war es in einem der vielen Pillenshops zu bekommen – oder im Fitnesstudio einen Block weiter.
Noch ist Armstrong der Held, der niemals fällt, jedenfalls nicht zwischen der Ost- und Westküste, zwischen Boston und Los Angeles. Doch nach den Ermittlungen, die nun auch im Radsportweltverband UCI laufen, könnte die Story des tapferen Radlers tragisch enden. Und die Moral von der Heldengeschicht’? Trau dem Wort eines Radprofis nicht.
MARKUS VÖLKER