american pie : Matsuzaka, Meister des Gyroballs
Weil gute Werfer rar sind, ist in der US-Baseball-Liga eine merkwürdige Lotterie um einen japanischen Pitcher im Gange
Mal angenommen, José Mourinho wäre wirklich so begeistert von Michael Ballack, wie er der englischen Presse ständig mitteilt. Und angenommen, der Trainer des FC Chelsea möchte deswegen nun einen weiteren deutschen Fußballprofi seinem millionenschweren Ensemble hinzufügen. Und nur mal angenommen, die Münchner Bayern dächten darüber nach, ihre Portokasse aufzupolieren und wollten deshalb Bastian Schweinsteiger verkaufen. Dann stünde einem Wechsel wohl herzlich wenig entgegen.
Jetzt aber mal angenommen, Schweinsteiger wäre kein deutscher Fußballer, sondern ein japanischer Baseballspieler, und die Premier League wäre Major League Baseball (MLB), dann allerdings wäre die Sache entschieden komplizierter. Dann müsste Chelsea-Eigentümer Roman Abramowitsch erst einmal eine mittelgroße Ölquelle veräußern, um überhaupt die Erlaubnis zu erhalten, mit Schweinsteiger verhandeln zu dürfen. Denn auch wenn die US-amerikanische Nationalhymne verspricht, man befinde sich im Lande der Freiheit: Der Profisport ist im Land der unbegrenzten Möglichkeiten so detailliert geregelt, dass die deutsche Steuergesetzgebung im Vergleich harmlos erscheint.
So kam es, dass Daisuke Matsuzaka zwar verlautbaren lassen konnte, dass, ginge es nach ihm, er gerne in Amerika Baseball spielen würde. Wo genau aber im nächsten Sommer der momentan beste japanische Pitcher seine gefährlich schlingernden Würfe vorführen wird, das liegt nicht mehr in seiner Macht. Denn die Major-League-Klubs, die an dem erst 26-Jährigen interessiert sind, mussten in der vergangenen Woche geheime Gebote bei der MLB abgeben. Die sichtete die Millionensummen und leitet nun das höchste Angebot weiter an die Seibu Lions. Gefällt dem Klub von Matsuzaka das Angebot, geben die Lions der höchstbietenden MLB-Franchise die Erlaubnis, mit ihrem Profi einen Vertrag auszuhandeln – und zwar genau dreißig Tage lang. Kommt es zu keiner Einigung, muss Matsuzaka im kommenden Jahr weiter für Seibu werfen.
Nun schießen die Gerüchte ins Kraut. Gewinner bei dem von der Presse so getauften „Matsuzaka-Lotto“ sind aller Wahrscheinlichkeit nach die Boston Red Sox. Dem Erzrivalen des Branchenprimus New York Yankees soll, so Spekulationen, allein das Recht, mit Matsuzakas Manager zu plaudern, mehr als 45 Millionen Dollar wert sein. Die Unterschrift von Matsuzaka selbst könnte dann, je nach Vertragslänge, noch einmal fast doppelt so teuer werden. Aber nicht nur Boston, das sich in der vergangenen Saison nicht für die Playoffs qualifizieren konnte, braucht dringend Verstärkung. Gute Pitcher sind diesen Winter kaum auf dem Markt, was die Preise für die wenigen vertragslosen Spitzenleute in astronomische Höhen treiben wird und das Wettbieten um Matsuzaka erklärt.
Aber es herrscht nicht allein akute Pitcher-Knappheit, dem Objekt der Begierde eilt ein geradezu mythischer Ruf voraus. Er soll als einziger Pitcher weltweit den sagenumwobenen Gyroball beherrschen; dieser Wurf soll in Richtungen trudeln und abdrehen, wie sie selbst im Spitzen-Baseball bislang nicht beobachtet wurden. Nicht nur hat Matsuzaka die japanische Liga beherrscht, sondern auch die japanische Nationalmannschaft zur Bronzemedaille bei Olympia in Athen geführt. Im vergangenen Sommer wurde er zum wertvollsten Spieler des World Baseball Classic gewählt, der ersten Weltmeisterschaft mit allen in den USA tätigen Profis, die Japan sensationell gewann. Doch eine Berühmtheit in seinem Heimatland war Matsuzaka schon davor: Seit er als Schüler seine Highschool nahezu im Alleingang zum Meistertitel warf, heißen die im Jahr 1980 Geborenen in Japan kurz und bündig die „Matsuzaka-Generation“.
THOMAS WINKLER