am po : Anni Friesinger
Am Donnerstagvormittag kam Anni Friesinger zu spät. Die allmorgendliche Pressekonferenz beginnt ja naturgemäß um zehn, aber die Eisschnellläuferin aus Inzell trudelte erst nach elf ein. Das ist nicht weiter schlimm, die deutschen Journalisten waren ja schon froh, dass sie überhaupt mal zur vormittäglichen Pressekonferenz erschienen ist; dass Friesinger zu spät kommt, haben sie schon gar nicht mehr anders erwartet. Anni Friesinger ist hier in Turin schließlich immer zu spät gekommen: Zuerst um 2,16 Sekunden im Rennen über 3.000 Meter, dann über die 1.000-Meter-Distanz, zwar nur um die Wimpernschlag-Winzigkeit von sechs Hundertstelsekunden, aber halt trotzdem zu spät; am Mittwochabend, über anderthalb Kilometer, ihre Paradestrecke, war es deutlicher, satte 2,04 Sekunden standen da zu Buche und erneut Rang vier.
Rechtzeitig, wenn man sich richtig erinnert, hat es die blonde Inzellerin bislang nur einmal geschafft, nämlich im Mannschaftswettbewerb. Da gewann sie, gemeinsam mit den anderen deutschen Läuferinnen, Gold. Die anderen Deutschen stiegen ziemlich bald nach dem Rennen auf ein Podest, um der Weltöffentlichkeit von ihrem großen Rennen zu erzählen und von ihren großen Gefühlen. Friesinger aber war nicht dabei. Sie ließ die Weltöffentlichkeit eine gute halbe Stunde warten, um nicht zu sagen: Sie kam schon wieder zu spät.
Anni Friesinger, das muss man vielleicht dazu sagen, ist keine normale Eisschnellläuferin, sondern eher das, was man eine Eisprinzessin nennt. Sie ist blond, keck, nicht auf den Mund gefallen, sieht gut aus, ein richtiges Girlie eben. Und natürlich ist sie auch eine Diva, das vielleicht vor allem anderen. Diven dürfen zu spät kommen, ach was, sie müssen es tun. Es gehört einfach zu ihrem Divensein dazu, und natürlich weiß Anni Friesinger das. Wobei sich das nicht auf die Rennen bezieht, die hat sie unfreiwillig verloren – und genau das ist jetzt ihr Problem: Friesinger wollte hier dreimal Gold gewinnen, eher viermal. Sie wäre damit zur Eiskönigin von Turin geworden, genau so hat sie sich vom ersten Tag an inszeniert. Aber jetzt, da sie nicht über 5.000 Meter antritt, sind die Spiele für sie vorbei, und sie steht da mit einmal Gold (und das auch „nur“ mit der Mannschaft) und einer Bronzenen – und dafür war das ganze Theater ein bisschen zu viel. Aus dem geplanten Monumentalfilm ist jedenfalls eine ziemlich mickrige Soap geworden. Und dass jetzt behauptet wird, die Anni habe im Teamwettbewerb zu viel Kraft gelassen, sie, die vermeintliche Königin, habe also ihre Einzelerfolge geopfert für ihr Königreich, also Deutschland, macht es nicht mehr besser. Eine echte Königin wird Anni Friesinger hier nicht mehr. FRANK KETTERER