ZWISCHEN DEN RILLEN : Aloe Blacc oder Der Fluch der späten Geburt
Aloe Blacc, „Good Things“ (Stones Throw/Universal)
Wenn einem die Gnade der frühen Geburt ermöglicht, mit elf Jahren Marvin Gaye, die Temptations und die Supremes im Programm des US-Soldatensenders AFN zu hören, dann kann sich die Gnade in einen Fluch verwandeln, wenn man 43 Jahre später ein Album von Aloe Blacc rezensieren soll.
„Good Things“ ist ein gelungenes Album in der Tradition der Sweet Soul Music. Man erkennt das schon an den Zutaten, die hier fehlen: kein Rap, keine Gastbeiträge, kein Autotune-Effekt, keine Skits – so nennt man die Dialogfetzen und Spielszenen zwischen Raptracks. Keine Synthesizer. Keine Samples. All das, was im modernen HipHop und R&B eigentlich unverzichtbar ist. Aber Aloe Blacc ist nicht modern und macht weder HipHop noch R&B, wie wir es von einem Schwarzen namens Blacc erwarten. Stattdessen stellt sich der Sänger vor eine Band mit Bläsern und Streichern und singt Lieder über Liebe, Geld und Politik, und zwar in einer Tonlage, die mal an Stevie Wonder, häufiger an Bill Withers erinnert.
Seine Band heißt The Grand Scheme, der große Plan. Produziert wurde das Album von dem Multiinstrumentalisten Leon Michels und dem Schlagzeuger Jeff Dynamite für – apropos sprechende Namen – Truth & Soul Productions. Blaccs Label Stones Throw ist oft mit schwer kategorisierbaren PostHipHop-Alben vom Schlage eines Madlib oder Dam Funk aufgefallen.
Mit Soulmusik die Wahrheit sagen, der große Plan, der Wille zum großen Ganzen – Aloe Blacc hat sich da was vorgenommen. Seine Band gebietet über einen lässig luxurierenden Groove, das hat Klasse und Tradition, vintage. Die Hitsingle „I need a dollar“ ist eine Auftragsarbeit für die HBO-TV-Serie „How to make it in America“ und gratwandert souverän zwischen Kapitalismuskritik und Balsam für geschundene Seelen. An anderer Stelle ist Money wieder die Wurzel alles Bösen, wie so oft im Jazz, Blues oder Soul. Zum Kanon gehört ein panafrikanischer Reggae-Riddim wie die geschmackvoll zitierten Geigen aus James Browns „It’s a man’s world“. Dass Blacc über den schwarzen Horizont hinaus blickt, beweist er mit einer – gemessen an den Konventionen von Hautfarben- und Genrelogik – geradezu irrwitzigen Versoulung von Velvet Undergrounds „Femme Fatale“.
Sein Wissen hat Aloe Blacc übrigens nicht auf den viel berappten Straßen Harlems oder Comptons erworben, sondern auf der University Of Southern California. Hier las er Henry David Thoreau, Ralph Waldo Emerson, Cornel West und die französischen Existenzialisten. Aloe Blacc ist der Fleisch gewordene Beweis, dass es ein schwarzer Amerikaner, dessen Eltern aus Panama eingewandert sind, in den USA zu etwas bringen kann, ohne Drogen, Prostitution und Gangsta Rap. Ein Beweis, den vor allem weiße Kritiker in Europa brauchen, damit sie wieder von der Rückkehr des Soul schwadronieren können. Egal ob gerade Raphael Saadiq oder Erykah Badu eine neue Platte gemacht haben, Hauptsache, sie können den kultivierten, inhalts- wie seelenvollen Obama-Soul ausspielen gegen den hypermaterialistischen, sexistischen R&B und den ganzen Gangsta-Scheiß. Die stereotype Rede von der Rückkehr des Soul klingt aus weißem Mund aber schwer nach vergiftetem Lob für den braven, lernwilligen Onkel Tom. Mit dem Onkel-Tom-Motiv spielt auch das Cover von „Good Things“. Da posiert Blacc in White mit roter Fliege und sieht aus wie ein Kellner. Der spöttisch-selbstverliebte Blick verrät aber, dass dieser Blacc nicht dazu geschaffen ist, Teller zu waschen. Klasse Album, wäre da nicht der Fluch der frühen Geburt: dass man Aloe Blacc nicht hören kann, ohne ständig auf die historischen Vorbilder zu stoßen, die sich in die DNA eingebrannt haben. KLAUS WALTER
■ Live: 1. 10. Münster, 2. 10. Berlin, 3. 10. Köln, 6. 10. München, 7. 10. Darmstadt