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Archiv-Artikel

ZWISCHEN DEN RILLEN Leg die Zwiebel weg!

White Fence: „For the Recently Found Innocent“ (Dragcity/Rough Trade)

Schwirrende Melodielinien erinnern an Folk aus den 60ern

Die Natur ist witzig! Das meint zumindest der Bauernsohn „Peer Gynt“ in Henrik Ibsens Langgedicht, wenn er aus Hunger eine Zwiebel sammelt. In Erwartung eines Kerns beginnt er sie zu zerteilen, schabt eine Hautschicht nach der anderen ab, bis er verwundert bemerkt, dass von dem Gewächs nichts mehr übrig ist.

Die Erfahrung von Tim Presley fällt da sehr viel negativer aus: „Es ist, als würdest du eine Zwiebel zerpflücken und am Ende findest du in der Mitte einen Haufen Schimmel“, sagt der Songwriter des kalifornischen Psychrock-Projekts White Fence über sein alltägliches Erleben. Das Sänger-Ich, das sich auf seinem aktuellen Album „For The Recently Found Innocent“ häutet, findet anders als „Peer Gynt“ keine Leere, sondern vor allem Angst davor, das falsche Leben zu führen.

Konträrer zu dieser dunklen emotionalen Grundfarbe könnte die treibende Musik von White Fence nicht sein. Es gibt helle Gitarrenriffs, deren schwirrende Melodielinien an Beat und Folk aus den Sechzigern erinnern, etwa die frühen Yardbirds oder Buffalo Springfield. Sich umrankende Akkorde, federnde Orgeln oder Presleys surreale Songtexte punktieren dabei einen vom Garage-Punk herstammenden einfachen Grundrhythmus.

Was White Fence besonders interessant macht, ist, dass Lo-Fi hier ein konsequentes technisches Programm bedeutet: Presley nimmt die Stücke auf einem Vierspurrekorder auf, sampelt Drum-Loops aus fremden Liedern und verstückelt alles so lange miteinander, bis man das Gefühl hat, der Kassettenrekorder macht Bandsalat.

So zieht der Künstler einen Vorteil daraus, dass das Tonband ein besonders sensibles Aufnahmemedium darstellt. Stärker fokussieren muss Presley sich auf die einzelnen klanglichen Versatzstücke, wenn alles, was er aufnimmt, Spuren hinterlässt. So lässt sich nicht endlos löschen und neu bespielen, weil jede musikalische Idee eine höhere Wertigkeit hat. Die vermeintliche Schwäche seiner Aufnahmetechnik verwandelt Presley damit in eine Stärke und Lo-Fi von einer nebulösen ästhetischen Kategorie in einen produktiven methodischen Ansatz.

Wenn er mitten in der Aufnahme das Band stoppt und es dann mit einer neuen Idee weiterlaufen lässt, tauchen kleine, eingängige Melodiefiguren auf, die im nächsten Moment von einer komplett anderen Akkordfolge absorbiert werden. Gerade, wenn man sich im Mitwippen eingefunden hat, wird der Pitch-Regler gedreht und das Tempo entzerrt oder verdoppelt.

Man bekommt so den Eindruck, Presley will die schönen Harmonien, die ihm den Kopf füllen, tilgen, bevor sie sich abnutzen. Wahrscheinlich ist ihm diese Verspieltheit ein probates Mittel, um sich von dem ganzen „Schimmel“ da draußen abzulenken. Musik machen sei für ihn, wie er in einem Interview erwähnte, eben Droge und er auf Entzug, sobald er seine Wohnung verlassen müsse. Presley bedient damit das Phantasma des rastlosen, allzeit schöpferischen Künstlers, dessen Eskapismus ihn zu den schönsten Melodiefindungen treibt, um zuletzt doch zu kollabieren und seinen Weltschmerz in den Songtexten zu ergießen – wenn auch weitaus verschrobener als klassische Folk-Songwriter.

„For The Recently Found Innocent“ wurde nun auf einem Achtspur-Bandgerät im Garagenstudio seines Musikkollegen Ty Segall aufgenommen. Presleys morbide Texte paaren die beiden mit überraschend konzisen Songs, die zwar, etwa im Fall der Single „Like That“, so jubilierend in die Ohren schießen wie The Who in ihren besten Zeiten, sich vielleicht aber genauso schnell wieder abtragen.

Tim, möchte man ihm deswegen zurufen, leg die Zwiebel lieber weg und widme dich in Zukunft wieder mehr den Spielereien mit deinem Magnettonband.

LISA FORSTER

■ Live: 2. 2., Köln, Gebäude 9, 3. 2., Berlin, Kantine am Berghain