ZENTRALRAT DER SINTI UND ROMA VERPASST CHANCE ZUR EMANZIPATION : Zigeuner können von Schwulen lernen
Jetzt ist eingetreten, wovor die Gegner eines Mahnmal-Parks am Berliner Tiergarten schon immer gewarnt haben. Das Denkmal für die ermordeten – Zigeuner? Sinti und Roma? – droht zu scheitern, weil sich die Beteiligten nicht auf einen Text für die Inschrift einigen können. Dabei geht es zum einen um unselige Fragen der Opferkonkurrenz, die von der räumlichen Konkurrenz der Gedenkorte herausgefordert wird. Wenn schon die eigene Gedenkstätte nicht so groß wird wie das benachbarte Holocaust-Mahnmal, so besteht der Zentralrat der Sinti und Roma wenigstens auf einer Inschrift, die das Leiden der beiden Opfergruppen gleichsetzt.
Das größere Problem ist derzeit aber ein anderes: Der Zentralrat hält es für einen Affront, dass nach dem Willen der Bundesregierung der Begriff „Zigeuner“ auf der Inschrift erscheinen soll. Nun haben die Nationalsozialisten auch den Begriff „Juden“ in abwertender Absicht benutzt, und dennoch wären die deutschen Juden nach dem Krieg nicht auf die Idee gekommen, sich den Begriff durch diesen Missbrauch nehmen zu lassen. Ja, oft genug war es für Minderheiten gerade ein Vehikel der Emanzipation, sich zu einer bislang abwertenden Zuschreibung zu bekennen, damit zunächst zu provozieren – und den Begriff, wenn es gut geht, auf diese Weise positiv neu zu besetzen. So haben es die Schwulen einst vorgemacht, so praktizieren es jene Deutschtürken, die sich jetzt fröhlich als „Kanaken“ bezeichnen – und so machen es auch schwarze US-Amerikaner, bei denen das einstige Tabuwort „Nigger“ eine erstaunliche Konjunktur erlebt.
Aber so weit ist der Zentralrat der Sinti und Roma noch lange nicht. Die Angst vor dem Begriff „Zigeuner“ ist nur ein Symptom jenes anhaltenden Versteckspiels, das sich zum Beispiel auch darin äußert, dass der Verband aus Angst vor Verfolgung keinerlei Mitgliederlisten führt. Das ist ein Symptom für eine gesellschaftliche Situation, die gewiss schwieriger ist als die der meisten anderen Minderheiten. Aber mit dem ängstlichen Festhalten an Tabus, das der Zentralrat betreibt, wird er daran gewiss nichts ändern können. RALPH BOLLMANN