Wochenübersicht: Bühne : Esther Slevogt betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen
Die Theaterwoche gehört diesmal der Schaubühne, wo am morgigen Mittwoch Thomas Ostermeiers Inszenierung von Frank Wedekinds „Lulu“ Premiere hat. Vor einem Jahr hat Ostermeier das medial omnipräsente Macho-Phänomen Dieter Bohlen zu einer radikalen Lesart von Ibsens „Nora“ inspiriert. Jetzt ist die nach Lolita berühmteste Kindfrau der Literaturgeschichte an der Reihe, die ins Visier einer bigotten Männergesellschaft gerät, der ihre unkontrollierten Triebe peinlich sind, weshalb sie der Frau nicht bloß an die Wäsche, sondern auch an die Ehre wollen. Dass dies nicht mehr so leicht wie früher ist, hat die fiese, aber im Sande verlaufene Bild-Kampagne gegen Sibel Kekilli („Gegen die Wand“) gezeigt. Doch es besteht immer noch genügend Handlungsbedarf: Also bitte, Kommissar Ostermeier, übernehmen Sie! Anne Tismer, als Nora 2003 zur Schauspielerin des Jahres gekürt, wird jetzt seine Lulu spielen. Im Übrigen geht am Lehniner Platz die Frage nach den Hintergründen des Systems, in dem wir leben, in die dritte Runde. Ab Freitag befasst sich eine Inszenierung von Falk Richter mit dem Phänomen des Amoklaufs. Die literarische Vorlage zu „Amok Weniger Notfälle“ liefern fünf kurze Texte des britischen Dramatikers Martin Crimps, des surrealsten unter den realistischen Dramatikern seiner Generation. Zu den hinreißendsten Figuren- und Objekttheatern der Stadt gehört das kleine „Theater Handgemenge“, dessen neueste Produktion sich eine der ältesten Liebesgeschichten Europas, „Tristan und Isolde“ von Gottfried von Straßburg, vorgenommen hat. Und weil beim „Theater Handgemenge“ immer auch ein feiner Sinn für Ironie und die Schwächen der Menschen in die Produktionen fließt, kann man gespannt sein, was Regisseur Tristan (!) Vogt diesmal eingefallen ist. Gespielt wird in der Schaubude an der Greifswalder Straße.