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Wer keine Eisenbahn hat, braucht auch kein Wetter Von Ralf Sotscheck

Wenn die Briten das schlucken, dann kann man ihnen wohl alles andrehen: Demnächst soll im britischen Fernsehen ein Wetterberichtkanal rund um die Uhr senden. Die Idee stammt aus den USA, wo es so etwas schon lange gibt. Die Sache hat allerdings einen Haken. Die USA reichen von Kalifornien bis nach Maine, von Florida bis nach Alaska, und dementsprechend abwechslungsreich ist das Wetter: hier ein Orkan, dort eine kleine Flutkatastrophe und ab und zu sogar ein telegenes Erdbeben.

Ganz anders das britische Wetter. Seit ihnen das Empire abhanden gekommen ist, herrscht für alle Briten dasselbe Klima – von Shetland bis Cornwall. Und nicht nur das: Es unterscheidet sich auch im Laufe eines Jahres nur in Nuancen. Vielleicht könnte man wenigstens die Falklands dazunehmen.

Oder setzen die TV-Bosse darauf, daß das Wetter in Großbritannien Gesprächsthema Nummer eins ist? So mancher Wetterfrosch hat es zum Fernsehstar gebracht – zum Beispiel Michael Fish von der BBC, der mit seinen Haftfolienwölkchen, die er blitzschnell auf eine Filzlandkarte aufmontieren und ebensoschnell wieder abziehen konnte, Fernsehgeschichte geschrieben hat. Ganz hübsch auch die Idee des unabhängigen Senders ITV, der Korkmodelle von Großbritannien, Irland, der Isle of Man und den anderen Inseln anfertigen ließ. Die schwimmen in einem riesigen Pool, und der Meteorologe muß darauf von Edinburgh zehn Meter in Richtung Süden bis nach London laufen und das Wetter prophezeien.

Unterwegs muß er nach Nordirland hinüberspringen, weil das britische Wetter auch für die Krisenprovinz gilt. Dann hüpft er geschwind wieder zurück, denn hinter der Grenze zur Republik Irland gibt es anderes Wetter, das ITV aber nichts angeht. Der Wetterbericht hat eine hohe Einschaltquote, weil die Fernsehnation seit Jahren darauf wartet, daß der Wetterfrosch bei seinem Sprung nach Nordirland ausgleitet und in der „Irischen See“ landet. Ist aber bisher noch nie passiert.

Das Prinzip ist jedenfalls klar: Der Wetterbericht muß interessanter sein als das Wetter selbst, damit die Nation der Couchpotatoes das Gefühl hat, daß sie gar nicht mehr das Haus verlassen muß, um mit dem Wetter Bekanntschaft zu machen – virtuelles Wetter also. Finanziell sollte die Rechnung eigentlich aufgehen. Man müßte Großbritannien wettermäßig in dieselben Zonen aufsplitten wie das Eisenbahnnetz. Dann könnte jedes private Bahnunternehmen den Wetterbericht der eigenen Region sponsern. Etwa so: „Zwischen Brighton und London herrscht Sonnenschein dank South Western Railway.“ Oder realistischer: „Dauerregen zwischen Glasgow und Edinburgh – fahren Sie lieber mit Scottish Rail.“

Noch einfacher wäre es, wenn man Kameras auf die Lokomotiven montieren würde. Dann könnte man anhand des Eisenbahnfahrplans gezielt den Fernseher einschalten, um nachzusehen, ob es darußen gerade regnet. Und weil das britische Eisenbahnnetz immer stärker ausgedünnt wird, je weiter die Privatisierung voranschreitet, käme jede Region mehrmals täglich vor. Wenn sie einen Bahnanschluß hat. Sonst geht sie leer aus. Aber wer keine Eisenbahn hat, braucht auch kein Wetter.

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