Wenn es die Ost-RAF gibt, schmiere ich denen Stullen

Enttäuschung, Wut und Verzweiflung machen sich bei Ostdeutschlands Eigenheimbesitzern breit/ Wir machen eine neue Revolution  ■ Von Katrin Bluhm

Potsdam. „Die meisten Wessis haben sich 40 Jahre nicht um ihre Grundstücke gekümmert. Jetzt wollen sie die schnelle Mark machen“, erklärt Günther Schicke, einer von mehreren hundert Eigenheimbesitzer, die sich in Potsdam beim Mieterbund getroffen haben, um ihre Situation öffentlich zu diskutieren. „Rückübereignung“ heißt das Wort, das Angst und Panik unter ostdeutschen Häuslebauern verursacht.

In den 70 Jahren bot die Kommunale Wohnungsverwaltung den Mietern von Ein- und Zweifamilienhäusern drei Möglichkeiten: unbefristete Erbnutzungsverträge, Häuserkauf oder Fortsetzung des Mietverhältnisses. Grund und Boden waren Volkseigentum, also nicht käuflich. 1989 ermöglichte die Modrow-Regierung den Grundstückskauf per Gesetz. Mit dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen im Einigungsvertrag und dem Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ kamen aber dann die Probleme.

Beim Mieterbund schlägt die Enttäuschung in Volkszorn um. Wolfgang Tilgner aus Prieselang berichtet, er sei vom Gemeinderat benachrichtigt worden, daß der Kaufpreis seines Hauses zu niedrig gewesen sei und er nun mit einer neuerlichen Forderung rechnen müsse, „diese sei aber noch festzusetzen“.

Ein anderer erzählt empört, wie bei Freunden am Neujahrsmorgen ein Möbeltransporter vor der Tür gestanden habe. Kaum habe es geklingelt, schon hätten die Möbel im Vorgarten gestanden. „Wessis“ seien mit neuen Möbeln eingezogen. Erst auf Intervention von Polizei und Bürgermeister seien die „Wessis“ mit ihrem „Geraffel“ wieder abgefahren. Drei Tage später hätten sie sich entschuldigt. Die Stimmung beim Mieterbund ist explosiv: „Erst nehmen sie uns die Arbeit und jetzt noch das Dach überm Kopf“; „Wir machen eine neue Revolution“; „Wenn es irgendwann eine Ost-RAF gibt, werde ich denen die Stullen schmieren“, machen sich die Leute Luft. Er habe sich in der sozialistischen Mangelwirtschaft die Erhaltung seines Häuschens vom Munde abgespart.

„Bevor ich mein Haus aufgebe, spreng' ich's in die Luft“, ruft Bernd Uhle aus Woltersdorf. Es sei sein Lebenswerk. Auch wenn die Westdeutschen glaubten, die Ostdeutschen hätten ihre Häuschen „für 'n Appel und 'n Ei“ bekommen. „Wir haben ja auch nur für 'n Appel und 'n Ei gearbeitet.“ Ein anderer fügt hinzu: „Und arbeiten wir noch.“ Für Stadt und Land Potsdam liegen rund 28.000 Rückübereignungsanträge vor, sagte Adelheid Calek, Leiterin des Rechtsamtes. „Damit haben wir für die nächsten zehn Jahre genug zu tun.“ Sie beklagt, daß sie mit den Gesetzestexten alleingelassen würden. Wenn gegen die Rückgabe entschieden wird, „wird dem Wessi wohl Geld aus dem Entschädigungsfond der Bundesregierung zustehen“, aber wie das funktioniert, weiß auch die Leiterin des Rechtsamtes nicht. Sie plädiert für einen sozialverträglichen Weg. Ein ehemaliger Hausbesitzer, der wegen politischer Verfolgung aus der DDR geflohen ist, sollte eher sein Grundstück zurückbekommen als ein „Erbe um sieben Ecken“. Ebenso sollten eine Familie mit fünf Kindern oder ein Schwerbehinderter im Haus bleiben dürfen, fordert Calek.

Die 14.000 Einwohner zählende Gemeinde Kleinmachnow vor den Toren West-Berlins ist ein weiteres Beispiel der Misere. Für rund 4.000 der 4.800 Grundstücke sind Rückübereignungsanträge gestellt worden. Der 65jährige Walter Braumann ist völlig entsetzt. 1982 wollte die westdeutsche Eigentümerin das Grundstück verkaufen. Braumanns sahen sich schon als baldige Nachfolger. Doch die SED-Leitung machte einen Strich durch die Rechnung. Das Viereinhalb-Zimmer-Haus war mit vier Personen unterbelegt. Braumanns durften wohnenbleiben, aber nicht kaufen. Nachdem die Eigentümerin nun das gepflegte Häuschen gesehen hatte, erhöhte sie die Miete um 100Prozent und beauftragte ein Maklerbüro mit dem Verkauf. „Wir wissen von nichts“, stöhnt Braumann, „aber gleich soll die Maklerin aus dem Westen kommen. Ich kann nicht mehr.“ Inge und Walter Braumann haben Angst. Zwar haben sie sich mittlerweile einen Anwalt genommen, aber wenn die „forschen und oftmals dreisten Wessis“ vor ihrer Haustür stehen, haben sie das Gefühl, sich nicht wehren zu können. Das Beispiel ist kein Einzelfall. Mit Psychoterror beschreibt die 37jährige Ingrid Strachotta die Situation. Sie hat ihr Haus und Grundstück gekauft. „Über ein halbes Jahr standen die Wessis jeden Samstag zur Mittagszeit vor der Tür“, es wurde fotografiert, bewundert, aber auch — nach 37 Jahren — das Fehlen der gelben Fensterläden bemängelt. Erst auf ein höfliches Schreiben ihres Anwalts hin blieben diese „Besuche“ aus. Ähnliche Fälle weiß die gesamte Nachbarschaft zu erzählen. Alle wohnen seit über 30 Jahren in den Häusern. Viele haben es nach dem Modrow-Gesetz gekauft. Einige hatten nicht genug Geld. So wurde Eugen Hagedorn „das Haus unterm Hintern wegverkauft“, trotz Vorkaufsrecht, „bei 250.000 Mark Gebot sehe ich doch kein Land“. Jetzt darf er noch drei Jahre wohnenbleiben. „Wo soll ich dann hin, bei der Wohnungsnot?“, sagt der 59jährige. ap