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Wenn die Milchuhr elfmal schlägt Von Ralf Sotscheck

Milch ist gesund. Wer einen Milchmann hat, der einem morgens ein paar Flaschen vor die Tür stellt, ist gut dran. Jedenfalls meistens. Manchmal profitieren aber nur die Elstern davon, die den glänzenden Verschluß abpicken und die Flaschen mit dem Flügel umwerfen. Dann gibt es einen Milchsee wie in Brüssel. Nachdem wir unserem Milchmann das Problem geschildert hatten, sann er auf Abhilfe. Am nächsten Morgen versteckte er die Flaschen vor den Vögeln – unter dem Auto. Das merkte ich an dem knirschenden Geräusch, als ich losfuhr. Als ich ihm später vorwurfsvoll die Glasscherben unterbreitete, meinte dieses besonders sarkastische Exemplar eines Milchmannes: „Aber diesmal haben die Elstern die Verschlüsse nicht gekriegt.“

Eines Tages brachte er eine „Milchuhr“: eine Plastikscheibe mit einem Zeiger und Zahlen von null bis elf. „Damit ihr nicht immer Zettel schreiben müßt, wieviele Flaschen ihr wollt“, meinte er. „Stellt einfach den Zeiger auf die gewünschte Anzahl.“ Eine praktische Erfindung, die aber völlig außer acht läßt, daß betrunkene Iren zu allem fähig sind. Nachdem ein paar Freunde eines Freitags unsere Weinvorräte vernichtet hatten, stellten sie die Milchuhr auf die Höchstmenge. Aber es kam noch schlimmer: Weil er Sonntags nicht liefert, bringt der Milchmann am Samstag immer die doppelte Anzahl der angezeigten Flaschen. So standen am Morgen dann 22 Flaschen Milch vor der Haustür.

Würden wir im englischen Birmingham leben, hätten wir wenigstens das Weinregal über Nacht wieder auffüllen können. Die dortige Molkerei hat nämlich vor kurzem französischen Wein in ihr Angebot aufgenommen, weil die Milchbestellungen aufgrund der Dumpingpreise in den Supermärkten um die Hälfte zurückgegangen sind. Möglicherweise hängt das ja auch mit der neuen Initiative der Tory-Regierung zusammen, die sich offenbar dem Alkohol verschrieben hat. Erst senkte Schatzkanzler Kenneth Clarke die Schnapssteuer um umgerechnet 60 Pfennige pro Flasche, und kurz danach tönte Gesundheitsminister Stephen Dorrell, daß man sich viel öfter einen hinter die Binde kippen sollte. Frauen könnten pro Woche um die Hälfte, Männer um ein Viertel mehr trinken als die Mediziner bisher empfohlen haben.

Das hört man gern, wären da nicht nagende Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit der Tory-Minister: Der eine stopft seiner Tochter aus Reklamegründen vor laufender Kamera ein Hackfleischbrötchen in den Rachen, der andere treibt es ausgerechnet im Trikot des schlappen FC Chelsea mit einer Nachwuchsschauspielerin, und Dorrell mimt eben den Animierboy für die Alkoholindustrie. Schließlich zahlt die ja genug Geld in die Tory-Parteikasse. Die britischen Abgeordneten brauchen freilich keine Ermunterung durch den Gesundheitsminister: Wenn man Blutproben einführen würde, wäre das Unterhaus leergefegt, behauptete der schottische Abgeordnete Alex Salmond.

In einem hat Dorrell zumindest recht: Alkohol ist allemal besser als englische Milch. Manche Molkerei mischt nämlich, wie jetzt herauskam, die verdorbene Milch, die ihnen von den Supermärkten zurückgegeben wird, mit frischer Milch und schickt sie wieder in die Supermärkte zurück. Dann doch lieber Wein vom Milchmann.

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