„Was also liegt näher, als auf die Politik Einfluss zu nehmen?“

Das bleibt von der Woche Beim Karneval der Kulturen werden Frauen von Männergruppen umzingelt und sexuell belästigt, die AktivistInnen des Volksentscheids Fahrrad schwärmen mit ihren Listen aus, die Groth-Gruppe spendet Parteien Geld, und die kommende Abgeordnetenhauswahl gibt schon jetzt Rechenbeispiele auf

„Taharrusch dschama’i“ macht Schule

Karneval der Kulturen

Die Diskussion ist überfällig. Und sie geht alle Teile der Gesellschaft an

Das Phänomen ist von Demonstrationen aus Kairo zu Zeiten des Arabischen Frühlings bekannt: Taharrusch dschama’i (deutsch: gemeinschaftliche sexuelle Belästigung). Eine Gruppe von Männern umzingelt einzelne Frauen im Gedränge und begrapscht sie im Intimbereich. Die Übergriffe reichten bis zur Vergewaltigung.

Taharrusch dschama’i ist in Deutschland spätestens seit Köln ein Begriff. In der Silvesternacht sind dort massenweise Frauen attackiert worden. Rund die Hälfte von mehr als 1.000 Strafanzeigen betrifft sexuelle Übergriffe. Folgt man dem, was einige Frauen am vergangenen Pfingstwochenende im Zusammenhang mit dem Karneval der Kulturen gegenüber der Polizei zu Protokoll gaben, bedeutet das: Taharrusch dschama’i hat Berlin erreicht.

Sieben fast deckungsgleiche Vorfälle sind angezeigt worden. Die Schilderungen der betroffenen Frauen sind laut Polizei nahezu identisch: Sie seien von zehn bis zwölf Männern umringt worden. Einzelne hätte ihnen an die Brust, den Po oder in den Schritt gefasst. Die Täter seien durchgängig als jung – zwischen 16 und 20 Jahre alt – und südländischer Phänotyp beschrieben worden.

Drei Tatverdächtige sind inzwischen festgenommen worden: ein 14-jähriger und zwei 17-jährige in Berlin aufgewachsene Migrantenkids. Die Polizei machte deren Herkunft von sich aus publik, um Spekulationen vorzubeugen, die Täter kämen möglicherweise aus den Reihen der Flüchtlinge

Die interessante Frage wäre nun, wie diese jugendlichen Migranten dazu kommen, als Gang nach dem Vorbild von Köln auf dem Karneval der Kulturen die Sau rauszulassen? Was für ein Frauenbild haben diese jungen Herren, bitte schön? Wo kommt es her? Wer setzt dagegen? Immerhin sind sie Gewächse dieser Stadt.

Eine solche Diskussion ist überfällig. Gebremst werden solche tabulosen Debatten von politisch Überkorrekten. Ihr Vorwurf: Eine ganze Bevölkerungsgruppe werde stigmatisiert und damit Rechtspopulisten argumentative Schützenhilfe geleistet. Und: dass sexuelle Übergriffe ein uraltes Problem seien und die biodeutschen weißen Männer die wahren Übeltäter sind. Wetten?

Die Folge könnte sein, dass das Vorbild von Köln weiter Schule macht. Dass Macho­gangs, egal welcher Herkunft, die gemeinschaftliche sexuelle Belästigung als Gangsta­style etablieren. Das ist keine schöne Vorstellung. Plutonia Plarre

Dem Senat wird kalt und heiß

Volksentscheid Fahrrad

Die veranschlagte Summe ist mit 2,1 Milliarden Euro astronomisch hoch

Seit Mittwoch wird also gesammelt: Die AktivistInnen des Volksentscheids Fahrrad schwärmen mit Listen aus und wollen in Rekordzeit – nach der ADFC-Sternfahrt am 5. Juni – die notwendigen 20.000 Unterschriften für den Antrag auf ein Volksbegehren in der Tasche haben. Oder noch viel mehr.

Tatsächlich ginge es in einer Stadt wie Berlin nicht mit rechten Dingen zu, sollte die Initiative einen deutlich längeren Anlauf für diese erste Hürde benötigen. Das weiß man auch in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Ihre Konsequenz ist ein merkwürdiger Strategiemix.

Einerseits signalisiert man aus dem Hause Geisel, das Fahrradgesetz, das die Initiative vorgelegt hat, werde selbst im Falle seiner Verabschiedung per Volksentscheid wenig am Status quo der Verkehrsplanung ändern. Die Gründe dafür zählte Staatssekretär Christian Gaebler (SPD) kürzlich im großen taz-Streitgespräch auf: Die vielen Sollbestimmungen des Gesetzentwurfs seien alles andere als zwingend für die Verwaltung – alles stehe und falle mit der Bereitstellung von Mitteln durch das Parlament und vor allem dem guten Willen der Bezirke.

Auf der anderen Seite scheint man doch nicht ganz so cool zu sein. Zum einen ist da die amtliche Kostenschätzung, die zwar „amtlich“ heißt, aber eben eine Schätzung ist. Und die veranschlagte Summe ist derart as­tro­no­misch – mit 2,1 Milliarden Euro etwa das, was der BER anfangs kosten sollte –, dass man sich des Verdachts kaum erwehren kann, es handele sich um eine künstlich zur Drohkulisse aufgeblasene Zahl. Bei Infrastrukturmaßnahmen, die politisch gewollt sind, ist bekanntlich der umgekehrte Fall zu beobachten: Projekt werden so klein gerechnet wie möglich.

Und dann ist da noch die Ausschreibung des PR-Jobs, bei dem eine Kommunikationsagentur dem Senat eine „verbesserte öffentlichkeitswirksame Außendarstellung“ der Radverkehrsförderung besorgen soll. Honi soit qui mal y pense: In den vergangenen zehn Jahren wurde nur das Nötigste für ein positives Fahrradimage getan, aber kaum steht das Volksbegehren in den Startlöchern, verspürt die Politik den Ehrgeiz, die eigenen Großtaten ins rechte Licht zu rücken. Immerhin geht es mit rechten Dingen zu: Dass der Senat für die eigene Position so richtig laut auf die Werbetrommel hauen darf, hat die Koalition Anfang des Jahres durchs Parlament gebracht.

Alles weist darauf hin, dass diese Auseinandersetzung richtig spannend wird. Hatten wir das an dieser Stelle schon mal erwähnt? Claudius Prößer

Zu viele Fragen bleiben offen

Spenden an SPD

Irgendwoher muss die Info mit den Spenden ja an die Presse gelangt sein

Vor einiger Zeit war die taz zu Gast bei der Groth-Gruppe, ein Firmenporträt sollte verfasst werden. Für die taz eine gute Gelegenheit, etwas ins Innenleben bei Berlins größtem Immobilienentwickler zu blicken. Für die Groth-Gruppe war der Termin wiederum ein willkommener Anlass, die Firmenphilosophie zu verdeutlichen. Die Botschaft: Die Groth-Gruppe von heute hat nicht mehr viel mit dem Baulöwen Klaus Groth aus der Nachwendezeit zu tun.

Nun wurde Anfang der Woche bekannt, dass die Groth-Gruppe der SPD fünf Einzelspenden von je 9.950 Euro hat zukommen lassen. Zwei davon habe die SPD wieder zurücküberwiesen. Der SPD-Verband Lichtenberg, bei dem Bausenator Andreas Geisel als Spitzenkandidat antritt, hat die Spende behalten. Zur Begründung hieß es, es gebe im Bezirk kein Bauvorhaben der Groth-Gruppe und damit auch keinen Interessenkonflikt.

Doch, den gibt es, und auch da war das Gespräch taz–Groth interessant. Denn die Politik des Senats, private Investoren zu zwingen, ein Viertel aller Wohnungen bei ihren Bauprojekten für Normalverdiener zur Verfügung zu stellen, lehnt die Groth-Gruppe rundherum ab. Was also liegt näher, als auf diese Politik Einfluss zu nehmen? Durch Termine mit der Presse. Auf Spendengalas mit dem Regierenden Bürgermeister. Durch Spenden an einen Kreisverband, in dem der zuständige Bausenator politisch zu Hause ist.

Nun ist die Aufregung groß, und die Opposition fordert mehr Transparenz. Richtig so. Aber auch so bleiben noch ein paar Fragen offen. Die eine ist, warum der eine Teil der SPD Spenden – die ganz offensichtlich unter der Veröffentlichungsgrenze liegen – zurückgibt, der andere diese gestückelten Spenden aber behält.

Daran schließt sich gleich die zweite Frage an: Ist der Streit zwischen dem entmachteten Parteichef Jan Stöß und dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller wirklich beigelegt? Denn irgendwoher muss die Info mit den Spenden ja an die Presse gelangt sein. Dass ausgerechnet der Landesverband zwei Spenden zurückgab und gleichzeitig bekannt wurde, dass Michael Müller ein Mehr an Spenden eingefordert haben soll, wirft kein gutes Licht aufs SPD-Spitzenpersonal. Weder auf den Bausenator noch auf den Regierenden Bürgermeister. Uwe Rada

Ein Dreier, aber kein lustiger

Abgeordnetenhauswahl

Für eine Koalition aus zwei Parteien, wie bisher üblich, wird es äußerst knapp

Absolut und relativ. Prozente und Prozentpunkte. Alles eine Soße? Eben nicht. Bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September, die in dieser Woche nur noch genau vier Monate entfernt war, werden die rechnerischen Feinheiten mal keine Sache für Experten sein, sondern über Grundsätzliches in der künftigen Landesregierung entscheiden.

Das liegt an der Fünfprozenthürde. Wenn die Parlamentssitze vergeben werden, fallen alle Stimmen für Parteien unter den Tisch, die unter dieser Grenze geblieben sind. Bei der 2011er Wahl betraf das jede zehnte Stimme. Das hat zur Folge, dass man mit einer bloß relativen – vergleichsweisen – Mehrheit der Stimmen von 45 Prozent eine absolute Mehrheit der Sitze hätte bekommen können, also mehr als alle anderen zusammen.

Das wird dieses Mal nicht so sein: Nach jetzigem Stand wird es eine Partei mehr als vergangenes Mal ins Parlament schaffen, die FDP. Und dann fallen deutlich weniger Stimmen unter den Tisch, nur 5 bis 8 Prozent. Für eine Koalition aus zwei Parteien, wie sie bisher in Berlin üblich war, wird es damit äußerst knapp. Die aktuelle Kombination aus SPD und CDU etwa bekommt nun in vier Meinungsumfragen in Folge keine absolute Mehrheit mehr. Für eine rot-grüne Kombination reichte es genau einmal, und das äußerst knapp, als die Grünen Ende April erstmals seit eineinhalb Jahren wieder auf 20 Prozent kamen.

Viel deutet daher auf ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei hin, also Rot-Rot-Grün oder kürzer: R2G. Am Mittwoch hat Linksfraktionschef Udo Wolf dazu vor Journalisten klargemacht: Das könne nur auf Augenhöhe funktionieren – sonst könne man es von Anfang an vergessen. Das mit der Augenhöhe ist allerdings etwas schwierig mit der SPD, einer Partei, die für sich in Anspruch nimmt, die Berlin-Partei überhaupt zu sein – vor allem weil sie seit 2001 ununterbrochen den Regierungschef stellt.

Nicht weniger ausgeprägt als bei der Linkspartei ist das Selbstbewusstsein der Grünen, die sich auch nicht als Erfüllungsgehilfen der Sozialdemokraten sehen – umso weniger, als sie in den Umfragen vor der Linkspartei liegen. Deshalb könnte das, was für manchen im linksalternativen Lager ein Traum ist, nämlich die Koalition der Kräfte diesseits der CDU, für den SPD-Vorsitzenden Michael Müller als Chef einer solchen Koalition eher zum Albtraum werden.

Gut möglich, dass Müller deshalb am liebsten mit der CDU weitermachen würde, weil die in den letzten fünf Jahren gerade im SPD-Kernthema der Bau- und Mietpolitik vieles durchgewinkt hat. Doch dafür fehlt Müller in Umfragen derzeit jegliche Mehrheit. Egal ob absolut, relativ, prozentual oder überhaupt. Stefan Alberti