WOLFGANG GAST LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Jörg Schröder und die RAF-Urszene
Kurz vor Beginn der 61. Filmfestspiele in Berlin sorgt Jörg Schröder für Aufsehen. In seinem März-Verlag brachte er 1977 das Buch „Die Reise“ von Bernward Vesper heraus. Schröder wirft nun Andres Veiels Spielfim „Wer wenn nicht wir“ vor, „die Urszenen der RAF als Seifenoper“ abzubilden und sich dabei auch noch bei Vesper bedient zu haben. Veiels Spielfim wird erstmals auf der Berlinale aufgeführt, Schröder verfügt wohl über Vorab-Informationen. Schröder, Jahrgang 1938, stört sich vor allem daran, dass der Film angeblich die wahre Liebegeschichte von Gudrun Ensslin und Bernward Vesper erzähle. Der Film behaupte, die Beziehung sei an Ensslins Radikalisierung und RAF-Gesinnung gescheitert.
Stimmt nicht, sagt der Verleger. Die Beziehung Ensslin/Vesper sei daran gescheitert, dass Gudrun Ensslin sich schon vorher in Andreas Baader verliebt habe und deswegen Vesper verließ. Der Regisseur Veiel wolle dem Publikum die Urszene der RAF als „Tristan und Isolde“ andrehen. Das sei sein gutes Recht, giftet der Buch- dem Filmemacher hinterher, jeder mache es halt, so gut er es könne. Fest stehe aber, „dass sich Gudrun Ensslin und Bernward Vesper im Grabe umdrehen würden, wenn sie erführen, wie hier mit ihren Biographien umgesprungen wird“. Veiels Film basiere im Wesentlichen auf Gerd Koenens „Vesper, Ensslin, Baader“, 2003 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Es handle sich so um eine „Adaption tendenziöser Sekundärliteratur und nicht um die Verfilmung des Lebensbildes von Berward Vesper, wie er es im Primärtext der ‚Reise‘ selbst beschrieben hat“.
Nun, wer sich über diese Auseinandersetzung hinaus für die Beziehung Ensslin/Vesper interessiert, dem sei der 2009 bei Suhrkamp erschienene Band „Notstandgesetze von Deiner Hand“ verwiesen. Er enthält den Briefwechsel zwischen Ensslin und Vesper nach ihrer Trennung von Januar 1968 bis Juni 1969. Felix Ensslin, Sohn des 1971 verstorbenen Vesper und der 1977 verstorbenen Ensslin, hat dazu ein Nachwort geschrieben. Der große Vorteil ist zudem: Diese Briefe lassen sich jetzt schon lesen. „Wer wenn nicht wir“ wird erst am 17. Februar bei der Berlinale uraufgeführt.
■ Wolfgang Gast ist Redakteur der taz. Foto: privat