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Archiv-Artikel

WESENSVERÄNDERTE KANADIER Wie die Bloody Americans

wundert sich über verfaulte Füße

MARKUS VÖLKER

Die Angaben über Vancouver waren widersprüchlich. Ein Kollege fand, es sehe dort aus wie in Bukarest zu Vorwendezeiten. Schlimm auch: der ständige Regen. Ein Freund aus dem frankophonen Teil Kanadas sagte mir: „Vancouver ist irgendwie komisch, so unkanadisch.“ Von einem Drogenumschlagplatz war zu lesen. Ein Obdachlosenheer sollte regelmäßig im Winter über die Stadt herfallen. Ich las beängstigende Geschichten über Füße, die zuhauf an Vancouvers Küste angeschwemmt werden. Die Füße stecken in Turnschuhen. Meist ist’s ein linker Fuß. Das Rätsel der verfaulten Füße ist noch immer nicht gelöst. Das ist beängstigend. Berüchtigt ist in der Gegend auch der Massenmörder Robert Pickton, der 62 Frauen umgebracht und an seine Schweine verfüttert haben soll. Für die vielen verschwundenen Frauen indianischer Herkunft soll Pickton nicht verantwortlich sein. Das ist also Vancouver, dachte ich mir.

Aber es gibt natürlich auch die andere Seite, die Berichte über die unübertroffene Lebensqualität Vancouvers, die einzigartige Lage, Natur, Berge, Meer, Sushi und Superleben. Die New York Times ist der Meinung, man müsse in diesem Jahr auf jeden Fall Vancouver Island besuchen, allerdings glaubt sie auch, ein Trip nach Leipzig sei unumgänglich. Nach ein paar Tagen Feldforschung in der Olympiastadt wage ich nun das verwegene Urteil: Vancouver ist eine von diesen Starbucks-Städten. Alles ganz nett, „laid-back“, wie der Kanadier sagt, und irgendwie unaufgeregt.

Wobei: So zurückgelehnt und distanziert gibt sich Vancouver nun auch wieder nicht. Die Stadt ist in gewisser Weise auch aufdringlich, wenn ich Wayne Wang als Kronzeugen meiner These nennen darf. Bei ihm kaufte ich eine Kleinigkeit ein und bei dieser Gelegenheit sagte er mir, dass für seinen Geschmack doch sehr viele Flaggen in der Stadt hängen würden. Das hat Wayne Wang ganz richtig beobachtet: In jedem Laden steht „Go Canada go!“. An der Haltestelle der Canada Line, ein U-Bahn-Neubau, steht „Go Canada go.“ Das Fernsehen CTV sendet endlos Trailer mit dem Slogan „We believe“. Es geht jetzt in diesen Tagen um den Stolz der Nation. Und um ganz viele Medaillen.

Nicht alle sind auf dem rot-weißen Trip, nicht alle stecken in einem Eishockeytrikot. Auf der Demo gegen die Spiele marschierten 2.000 Leute mit Slogans wie „Kanada ist illegal“ gegen den Hype an.

Und wie in einem Blog des Toronto Star zu lesen war, kotzen so manchen kanadischen Journalisten die, wie er das nannte, Own-the-Podium-Leute, an. Jim Byers, der Autor des Blogs, hat ein Gespräch veröffentlicht, das er am Cypress Mountain geführt hat. Es lohnt sich, daraus zu zitieren. Der Kritiker seiner im Olympiataumel befindlichen Landsleute sagt also: „Das ist schändlich, das macht einen krank, was hier passiert. Die Own-the-Podium-Typen sind arrogant. Die benehmen sich wie beschissene Amerikaner. Ist es das, was gewollt ist? Dass die Kanadier ‚Canada, Canada, Canada‘ grölen wie die Amerikaner ‚USA, USA, USA‘? Das ist eine Schande für das Land, in dem ich aufgewachsen bin und das ich liebe.“

Jim Byers war so freundlich und hat den Namen des ziemlich schlecht gelaunten Kollegen nicht verraten. Denn ansonsten hätte es gut sein können, dass bald schon sein Fuß in Vancouver Downtown angeschwemmt wird oder der Herr Pickton extra auf den Olympiakritiker angesetzt worden wäre.