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Archiv-Artikel

WER DIE FANMASSEN DIRIGIERT, DER KANN AUCH DIE ETABLIERTEN MACHTVERHÄLTNISSE UMDREHEN Die Authentizitäts-Fundgrube

MEIKE LAAFF

Und jetzt ist es schon wieder zwei Stunden später.

Eigentlich habe ich mir auf YouTube nur kurz diesen Interviewschnipsel mit Jan Böhmermann angucken wollen, in dem er über YouTuber spricht. Von da aus landete ich bei einem 20-Jährigen mit über 1,6 Millionen Abonnenten, der mit der AfD sympathisiert. Und bleibe dann an einem Video hängen, in dem jemand über eine Stunde lang Minecraft spielt.

Wie Leute auf die Idee kommen, sich so was stundenlang auf YouTube anzuschauen, wollte meine Mutter von mir kürzlich wissen. Wie sie auf die Idee käme, sich eine vierstündige Oper auf Arte anzusehen, wollte ich wissen. Irgendwann würden die LetsPlay-Youtuber manchmal anfangen, nebenher Gesellschaftsthemen zu diskutieren, hat mir eine Kollegin letztens erzählt. Unterhaltung als Verpackung für ernsteren Content?

Es ist ein bisschen banal, YouTube heute mit dem Musikfernsehen der 90er zu vergleichen. Und doch hilft das Thirtysomethings beim Verstehen. Längst aus der Zielgruppe rausgewachsen, wundere ich mich mitunter, wie populär Banalitäten jenseits von intellektueller Sattelfestigkeit dort werden können.

Zehn Jahre nach der Gründung ist YouTube von einer Plattform für gemopste Musik und Katzen-Content zu einem Ort geworden, den junge Leute zwischen 10 und 25 ansteuern, um Authentizität zu finden.

Nächstes Video. Eine junge Frau präsentiert 18 Minuten lang, was sie in einer Drogerie gekauft hat. Ein sogenannter „DM-Haul“. Längst hat YouTube alle Lügen gestraft, die meinten, das Internet habe die Zwischenhändler, vom Plattenlabel bis zum Management, die einst zwischen Star und Publikum vermittelten, abgeschafft. Für die Vermarktung und den Aufbau von YouTube-Stars hat sich ein neues Mittelreich entwickelt: sogenannte Multi-Channel-Netzwerke.

In einer Zeit, in der Ältere Massenmedien immer skeptischer gegenüberstehen und Jüngere sie zunehmend ignorieren, hilft das Netz, einen direkten Draht zum Star herzustellen: Dank Twitter und Facebook kann Fan scheinbar teilhaben am Tagewerk von Gaga und Bieber. Und Nationalspieler verteilen Selfies mit der Kanzlerin aus der Umkleidekabine im Netz, ohne dass es eines Kanzlerinnenselfies aus der Kabine, ohne dass es eines einzigen Journalisten bedarf.

Am Ende ist es aber nicht so, dass kein Blatt zwischen Star und Publikum passt. Nur die Mittler sind schwerer sichtbar – die PR-Häschen, die im Auftrag ihrer Sternchen twittern, oder die Strippenzieher, die YouTubern zum Erfolg verhelfen.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Montag

Cigdem Akyol

Down

Dienstag

Deniz Yücel

Besser

Mittwoch

Martin Reichert

Erwachsen

Donnerstag

Margarete Stokowski

Luft und Liebe

Freitag

Michael Brake

Kreaturen

Ein Effekt, der im Netz auch schnell kippen kann. Heute meldete das deutsche Multichannel-Netzwerk Mediakraft, dass es sich von seinem Gründer Christoph Krachten trennt, nachdem YouTuber unzufrieden ausstiegen. Denn: Wer große Fanmassen dirigieren kann, der hat auch Macht – und vermag Machtverhältnisse umzudrehen.

Einige der populären YouTuber wissen vielleicht, welche Macht und welche Verantwortung auf ihren Schultern lastet. Aller Lockerheit zum Trotz. Es wird spannend zu sehen, was sie damit anfangen.