WAS IST EIGENTLICH IM EUROPA-CENTER LOS? : Ein Anflug von Westalgie
VON DIRK KNIPPHALS
Mehr West-Berlin geht nicht“, steht auf den großen Plakaten, die derzeit Imagewerbung für das Europa-Center machen sollen. Doch, doch, für dieses Europa-Center an der Gedächtniskirche, in dem man jahrelang nicht mehr war. Ich habe den Spruch im Vorbeiradeln registriert und als Erstes gedacht: Armes Westberlin, wenn mehr von dir als dieses schredderige Europa-Center schon nicht geht! Dann habe ich mir schnell ein paar andere Orte überlegt, die mindestens genauso gut für den Berliner Westen stehen können: der Schlachtensee, das Schloss Charlottenburg, der Ernst-Reuter-Platz, die Autorenbuchhandlung am Savignyplatz, Friedenau, das ICC …
Etwa 200 Meter weiter habe ich dann aber gedacht: Nee, doch, da ist echt was dran. Das Europa-Center, in den Zeiten des Kalten Krieges als Wahrzeichen des modernen Westens in der geteilten Stadt gebaut, vermittelt inzwischen tatsächlich eine heimelige Art von Westalgie. Ist das nur eine nachholende Reaktion auf die Ostalgie, auf die man immer noch in den Ostteilen der Stadt trifft? Ich bin dann nach der Plakatepisode jedenfalls ein paarmal durch das Europa-Center gegangen und glaube eher, dass der Status des Europa-Centers sich grundlegend zu ändern beginnt.
Zuletzt hat man ja eher Mitleid mit dem Center gehabt. Auf der gegenüberliegenden Seite der Tauentzienstraße prosperierte das Shoppingleben, vom KaDeWe bis zu Hugendubel. Aber auf der Seite des Centers schien die ganze Gegend auf dem absteigenden Ast. Der Leerstand in diesem langgestreckten Gebäude entlang der Budapester Straße wurde auffälliger und auffälliger. Am Bahnhof Zoo gibt es eh keine Fernverkehrsreisenden mehr. Und das Europa-Center selbst hinterließ auch nur noch den Eindruck eines eher halbherzig in Betrieb gehaltenen Shoppingmall-Museums.
Die ganze Anlage mag einst so viel kapitalistische Virilität vermittelt haben, dass sich die Berliner Punks diesen Ort als bevorzugten Schauplatz ihrer Antikonsuminszenierungen aussuchten. Doch das alles konnte man höchstens noch mühsam rekonstruieren. Man sah im Center zwar die überraschenden Durchblicke über mehrere Etagen, man registrierte den Dorfcharakter der Innenhöfe, man erspürte noch die amerikanischen Vorbilder, die Verbindung von Konsum und Wohlfühlambiente – aber inzwischen sah das eben doch ziemlich alt aus.
Nicht dass sich daran inzwischen etwas geändert hätte. Wirklich frisch und auf der Höhe der Zeit wirkt das weiterhin nicht. Nur kann man es mittlerweile ganz gut zulassen, dass die Einstellung diesem Gebäudekomplex gegenüber ins Nostalgische kippt. Weshalb denn eben auch diese Westalgieplakate durchaus funktionieren.
Woran das liegt? Wahrscheinlich ist mittlerweile schlicht genug Zeit vergangen, seitdem das Europa-Center tatsächlich den Anspruch vor sich hertrug, ein Zentrum der westlichen Welt zu sein. Auch an den neuen Orten am Potsdamer Platz und Alexanderplatz hat man sich inzwischen genug abgearbeitet. Der Punkt ist aber auch, dass im Moment rund um den Breitscheidplatz fleißig gebaut wird. Das neue Bürohochhaus, vis-à-vis vom Bahnhof Zoo, überragt im Rohbau die Gedächtniskirche bereits um Längen. Bestimmt werden hier nicht alle Businessträume aufgehen. Aber ganz den Bach runtergehen wird die Gegend eben wohl auch nicht. Und man denkt sich halt: Inmitten einer ganz modernen Konsumwelt mit ihrem Hochleistungs-Plingpling kann das Europa-Center, das den Stand von vor 30, 40 Jahren verkörpert, ja schon wieder sehr gut funktionieren, nicht als Zentrum, sondern eher als Anhängsel.
Es vermittelt, so gesehen, fast schon etwas von einer Oase, wenn man heute hier durchgeht. Sanft plätschert das Wasser im Lotus-Brunnen. Gelassen sitzen die Rentner im Mövenpick. Und die Geschäfte werben doch sehr zurückhaltend für ihre Waren, die einen auch ihrerseits keineswegs mit dem letzten Schrei anspringen. Stimmt schon: Mehr West-Berlin geht wirklich nicht! Bisschen skurril. Aber ganz schön eigentlich.