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Archiv-Artikel

WAS BERLINBESUCHER WOLLEN: VERRÜCKTE LEUTE, KRASSE MUSIK, WILDE KUNST UND BUNTES LICHT Der Sänger ist der Teufel in Person

VON MARGARETE STOKOWSKI

Berlinbesuch, Kerstin kommt. So etwas macht mich nervös. Wenn NichtberlinerInnen nach Berlin kommen, denke ich immer, ich muss denen voll was bieten. Ich denke, die denken, in Berlin ist überall Remmidemmi: verrückte Leute, krasse Musik, wilde Kunst und buntes Licht. In einem Café meiner Wahl habe ich das Stadtmagazin meiner Wahl mitgehen lassen, um mich vorzubereiten. Ich habe den Freitag, Samstag und Sonntag fast komplett mit Textmarker angestrichen. Irgendwas muss passen.

Freitagabend, in der U-Bahn ist es voll. Kerstin war erst einmal in Berlin, und das ist lange her. Soll ich jetzt was über die Stadt erzählen? Nee, das ist albern. Am Mehringdamm steigen zwei Musiker ein, wahrscheinlich Vater und Sohn. Der Vater hat einen Rucksack, aus dem blechernes Gedudel mit Rhythmus kommt, dazu spielt er Saxofon. Der Sohn ist ungefähr acht Jahre alt und trägt einen blau-weißen Trainingsanzug, den er ziemlich prall ausfüllt. Er spielt „Somewhere over the Rainbow“ auf einem Instrument, dessen Name uns nicht einfällt – so ein Keyboard zum Blasen. Fünf Leute geben ihm Geld. Zu Hause gucken wir bei Wikipedia, wie das Instrument heißt. Melodica.

Erster auserwählter Programmpunkt ist das Sputnik-Kino. Nicht für einen Film, sondern weil da eine Band von den Färöer-Inseln spielen soll. Die Band heißt Budam und verspricht „Stories of devils, angels, lovers and murderers“. Das stimmt auf jeden Fall zum Teil, denn der Sänger ist der Teufel in Person. Er sieht aus wie ein Türsteher und macht abwechselnd Geräusche wie ein winselnder Straßenhund und ein brünftiger Hirsch. Dazwischen erzählt er auf Englisch Geschichten über ejakulierende Japaner, fernsehsüchtige Elefanten und seine religiösen faröischen Freunde. Ejakulation und Tiere sind der rote Faden, der sich durch die Texte zieht. Ich schaue Kerstin an, sie lächelt. Wie gut kann sie eigentlich Englisch? Der Sänger wird begleitet von einem ruhig schunkelnden Pianisten und einer elfenartigen blonden Sängerin. Das ist ein bisschen beruhigend. Wenn die beiden es mit ihm aushalten, kann er so gefährlich nicht sein, denke ich. Warum schauen wir uns Konzerte von Leuten an, denen wir nachts auf der Straße nur total ungern begegnen würden? Im Foyer liegen Infobroschüren über die Färöern. Sehr unauffällig gucke ich nach, wo das eigentlich ist. Okay. Voll am Arsch.

Nächster Programmpunkt: Sushi essen in der Adalbertstraße, da gibt es diese panierten Crispydinger. In meiner gedanklichen To-do-Liste hake ich die Punkte „verrückte Leute“ und „krasse Musik“ schon mal ab. Im Sushi-Laden sagt uns der Sushi-Mann, die Fritteuse sei heute kaputt, es gibt die Crispydinger nicht. Manno. Dann halt normales Sushi. Kerstin ist trotzdem zufrieden. Sie sagt, in Berlin ist der Wasabi viel schärfer als bei ihr zu Hause. Yeah. Berliner Wasabi.

Um auch die Sache mit dem bunten Licht zu erledigen, gehen wir im Roses was trinken. Ich überlege, ob ich vorher sagen soll, dass es sich um eine langweilige, etwas mau eingerichtete Kneipe handelt, wegen „Haha, doch nicht“-Effekt, aber ich sage einfach gar nichts. Kerstin findet die bunten Lichter super und sagt, ihr Kater Mo würde darauf total abfahren. Wahrscheinlich könnte er an den rosa Plüschwänden sogar ganz gut hochklettern. Ich werde dem Roses vorschlagen, sich ein paar Showkatzen anzuschaffen. Für die Touris.

Als wir nach Hause gehen, überlege ich, ob wir schon genug gesehen haben. Verrückte Leute, krasse Musik, buntes Licht. Und die wilde Kunst? Na ja, das war wohl der dicke Junge in der U-Bahn mit der Melodica.