WARMER WODKA, EIN BÖSES BUCH UND EIN TRAURIGES LIED : Wie ich aus Versehen mit der Familienministerin schlief
MARGARETE STOKOWSKI
Plaudernde Prostituierte pinkeln plätschernde Pfützen. Es ist Donnerstagabend, und ich komme aus der kleinen Pizzeria in der Großen Präsidentenstraße. Mitten auf dem Gehweg hocken zwei Oranienburger-Straße-Nutten und strullern große, dunkle Flecken. Dabei unterhalten sie sich und ignorieren mich komplett, obwohl ich ihretwegen vom Fahrrad steige und um sie herumgehe. Den ganzen Nachhauseweg denke ich über diese zwei Frauen nach. Es wäre ja wohl das Mindeste, dass ein Arbeitgeber ein Klo bereitstellt. Meinetwegen mit dem Türschild: „Ehrwürdige Escortdamen, erleichtert euch!“
Erstes Frühlingsgewitter
Der Freitag ist stimmungsvoller. Ich übe den ganzen Nachmittag Ukulele, „Hurt“ von Johnny Cash. Als sich die Melancholie vollends in meine Seele eingebrannt hat, ploppen dicke Regentropfen aufs Fensterbrett, und es donnert: das erste Gewitter in diesem Frühling. Ich muss fast weinen, so kitschig ist es.
Stefan kommt nach Hause. Er geht in die Küche und hat diesen „Äh, du warst nicht einkaufen, ne?“-Blick. Aber er ist zu feministisch, um mir vorzuwerfen, dass ich nicht einkaufen war, obwohl ich den ganzen Tag freihatte. Dann kippt er Nudeln und Gemüse vom Vortag in eine Pfanne und sagt: „Ich mach noch Käse dran, damit es leichter ist.“ – „Leichter?“, frage ich, „Mit Käse?“ – „Ja“, sagt er, „leichter zu essen.“
„Warum?“, frage ich sie
Nach dem Essen ist er müde, legt sich aufs Bett – und ratzt zehn Stunden durch. Typischer Freitag. Ich bin nicht müde, setze mich zu ihm und lese das Buch von Kristina Schröder. Immer wieder muss ich es zuklappen und Schröders Porträt anstarren. „Kristina“, sage ich in Gedanken zu ihr, „warum?“ – „Hast du dafür Geld bezahlt?“ Stefans Frage weckt mich. Es ist schon morgens und er hat sich Kaffee gemacht. Ich bin beim Lesen eingeschlafen. Hoffentlich hat er kein Foto gemacht: Ich, eingekuschelt, die grinsende Kristina Schröder im Arm. Horror. „Nee“, sage ich, „Rezensionsexemplar.“
Abends gehen wir zu Georg. Ich treffe eine Kollegin von früher. Stefan und ich haben sehr guten Wodka mitgebracht. Sie gießt sich einen Schluck in ihr Glas und dann – Orangensaft dazu. Verbrecherin. Ich sage ihr nicht, dass man den eigentlich pur trinkt, ich will nicht so kulturimperialistisch sein. Während wir uns unterhalten, gießt sie noch gefühlte siebzehnmal Saft nach und verzieht trotzdem nach jedem Schluck das Gesicht. Dann sagt sie: „Schmeckt echt gut.“ So viel schlechter Geschmack, und dann lügt sie auch noch. Krass. Ich kriege wieder dieses „Warum?“-Gefühl wie bei Kristina Schröder.
Bisonförmige Eiswürfel
Als wir auf Danias Party kommen, sagt sie mir zur Begrüßung, dass sie Grasovka gekauft hat. „Schön“, sage ich. Dann sehe ich, dass die Flaschen auf dem Buffet stehen, ungekühlt, im warmen Zimmer. „Ihr müsst den Wodka kalt stellen“, sage ich. „Kein Platz mehr im Kühlschrank“, sagt Dania. „Aber guck mal, was es dazugab“, sagt sie und zeigt mir ein hellblaues Förmchen für zwei bisonförmige Eiswürfel. Ich sage, ich kenne das, das gibt es zurzeit immer zu den Grasovka-Flaschen dazu. Ich habe letztes Wochenende nach meiner Party drei davon weggeschmissen. „Was?“ Dania ist entsetzt. „Weggeschmissen? Also ich will auf jeden Fall bisonförmige Eiswürfel!“ Und sie verschwindet in der Küche.
Obwohl wir erst morgens nach Hause kommen, liege ich noch lange wach und denke an Kristina Schröder, die Nutten und den Wodka. Ich fühle mich einsam. Ich setze mich in meinen Lieblingssessel, nehme die Ukulele und spiele ganz leise, um Stefan nicht zu wecken, „Hurt“ von Johnny Cash.