piwik no script img

Vogel soll sein Nest jetzt teilen

Zwar wollen die BRD-Sozialdemokraten ihn, nicht Lafontaine als Vorsitzenden für eine gesamtdeutsche SPD, doch ihre DDR-GenossInnen drängen auf Gleichberechtigung ihres Vorsitzenden Thierse / Nach dem Streit um den Wahltermin droht neuer innerparteilicher Konflikt  ■  Von Fehrle und Forudastan

Berlin/Bonn (taz) - Alles lief so schön für Hans-Jochen Vogel: Nach langwierigem, emotionsgeladenem Tauziehen und öffentlich ausgetragenen Keilereien hatte sich die Spitze der West-SPD gestern geeinigt - mit 32 zu elf Stimmen: Beim Zusammenschluß mit der DDR-SPD im September sollen Vorsitzender und Vorstand nicht neu gewählt werden. Der West -Vorsitzende Vogel wird gesamtdeutscher Parteivorsitzender zumindest bis zum nächsten Frühjahr. Die Ost-GenossInnen würden mit einem stellvertretenden Vorsitzenden und mehreren Vorstandssitzen abgespeist. Vogels Ost-Kollege Thierse war dabei, Lafontaine hatte „Einverstanden“ genickt. Doch die Sozialdemokraten in der DDR legen sich quer: Sie fordern zwei gleichberechtigte Vorsitzende an der Spitze der vereinigten Partei. Darauf verständigte sich nach Aussagen von Geschäftsführer Stephan Hilsberg das Parteipräsidium auf seiner gestrigen Sitzung in Berlin. Ein formaler Beschluß zum Doppelvorsitz sei jedoch nicht gefaßt worden.

Hilsberg schlägt vor, beide bisherigen Vorsitzenden auf dem Vereinigungsparteitag Ende September in Berlin in ihrem Amt zu bestätigen. Allerdings gebe es bei den West-Genossen in dieser Sache „ein gewisses Unverständnis“, räumt Hilsberg ein. Doch „wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, meinte der Geschäftsführer gestern optimistisch. Die Ost-Genossen wollen sich offenbar nicht so ohne weiteres von der großen Schwester schlucken lassen. In jedem Fall wollen sie den Vereinigungsakt mit einer Urabstimmung unter den Parteimitgliedern begleiten. Das sei wichtig für das „Selbstbewußtsein“, so Hilsberg. Weiter fordert die Ost-SPD eine „deutliche personelle Untersetzung“ (Hilsberg) der zukünftigen gesamtdeutschen Partei durch Funktionäre der Ost -Partei. Neue Referate sollen eingerichtet, die Geschäftsführung und die Instanz des Schatzmeisters besetzt werden.

In der Frage der Fünfprozenthürde bei den Wahlen sind sich Ost und West einig. Gewählt werden soll nach einheitlichem Wahlrecht. Das Argument, damit würden Bürgerbewegungen und Grüne, die wesentlich am Umbruch beteiligt waren, ausgeschlossen, sei ein „Scheinargument“, sagte Geschäftsführer Hilsberg. Diese Gruppierungen hätten auch bei einer Dreiprozentklausel keine Chance. Begünstigt würde dadurch nur die PDS.

Durch den Vorstoß der DDR-SPD nimmt die Diskussion um den gesamtdeutschen Vorsitz in der SPD kein Ende, wie in der Bonner SPD-Spitze erhofft, sondern verlagert sich in Auseinandersetzungen zwischen den beiden Schwesterparteien. Bisher hatte der Streit zwischen Vogel und Lafontaine das Bild der Partei geprägt. Vor knapp zwei Wochen soll Vogel Lafontaine indirekt angeboten haben, ihn als gesamtdeutschen Vorsitzenden vorzuschlagen. Eine Reihe führender jüngerer SozialdemokratInnen hatte Lafontaine bis zum vergangenen Wochenende dazu gedrängt; Lafontaine selbst wollte öffentlich dazu nie Stellung beziehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen