Village Voice : Das warme Pochen in der Musik und ein wenig melancholische Gemütlichkeit für die Wohnküche: neue Platten von Noël und Gaston
Und schön ist es doch, dass nicht gleich immer alle einfallen in den Chor und mal ruhig bleiben können. Auch wenn in Berlin gerade wieder viele Musiker ganz aufgeregt „Rock ’n’ Roll“ schreien. Dagegen zwei eher unaufgeregte Platten mit ihrer Introvertiertheit/Häuslichkeit in Position gebracht (gerade deswegen, weil sie sich bestimmt nicht als Positionsmarkierungen verstehen würden).
Wenn man von der Instrumentalmusik von Gaston zu schreiben hat, kommt man um das eine Wort gar nicht herum: Postrock. Noch präziser Gastons Musik umkreisend: Tortoise. Von den Platten dieser Band aus Chicago einige Schnipsel genommen, frisch verschnitten, rearrangiert … und schon hätte man ein Klangbild, das „What time does your train leave today?“ (Beau Rivage/Hausmusik) doch erstaunlich ähnelt. Auch, weil bei Gaston und Tortoise der Bass und das Vibrafon eine zentrale Rolle in der Musik spielen.
Das alles ist hier aber schneller geschrieben, als im Proberaum darüber nachgedacht wurde: Immer sollte Postrock/Tortoise nur als Prinzip gelesen werden, nicht als Vorlage, die von Gaston nur durch den Kopierer gezogen wäre. Und Menschen, die noch nie etwas von Tortoise gehört haben, könnte man die Musik versuchsweise mit dem beliebten Vergleich beschreiben. Bilder, die erst in die Natur drängen, flaches Land, wogendes Gras, das Gleichmaß der Wälder mit ihrem komplexen Rhythmus. Oder eine Nachtfahrt auf der Autobahn, die Reflexe der Lichter. Doch diese behelfsmäßigen Bilder halten die Musik nur kurz auf, weil sie immer gleich zurückdrängt, zur Musik. Zu sich. Womit man wieder bei einem wesentlichen Glaubenssatz von Postrock wäre.
Bei Gaston hört er sich wie: warmes Pochen. Freundliche Gelassenheit. Eine Art Moll in Dur. Was nicht heißt, dass man sich nicht festlegen möchte. Sondern dass Komplexität kein Schreckbild sein muss. Die Musik auf dem Album klingt entspannt und ist natürlich hart erarbeitet, ausgetüftelt. Komplex. Nicht verkrampft. Immer treibend, ohne sich treiben zu lassen, und in diesen Fluss passt gleich „Wrong Places“ von Noël aus dem Mina/Contriva-Umfeld, weil hier mit Sören Schrader einer der Gaston-Musiker mit einer Menge an Instrumenten mitgeholfen hat.
Bei den Instrumentaltiteln kommt es da zu engsten musikalischen Verwandtschaften zwischen Gaston und Noël Rademacher, und bei den Titeln mit Gesang meint man manche kleinen Seufzer und Melodiefetzen bereits auf Beatles-Platten gehört zu haben (aber Noël soll großer Beatles-Fan sein). Auch eine Nähe zum frühen Elton John ist zu spüren, dessen Exaltiertheit allerdings gut versteckt wird in so einer Blue-Eyed-Soul-Stimmung im Wollkragenpullover. Selbst wenn auf „Wrong Places“ manchmal doch ein paar Plätzchen zu viel vom Weihnachtsteller genascht werden, bleibt die Platte immer einnehmend in ihrer Melancholie, die ganz en passant ins Zimmer schaut. Ein flüchtiger Händedruck, ein freundliches Nicken. Eine geheime Lieblingsplatte für die Wohnküche. Am Donnerstag, 25. November, gibt Noël das Vorprogramm zu Kante im Maria. THOMAS MAUCH