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Video der WocheWenn die Pest auf Gwen Stefani trifft

Geschichtsunterricht muss nicht immer trocken sein. Er kann auch mit den Beats von Gwen Stefani, den White Stripes oder Lady Gaga daher kommen.

Geschichtsunterricht mal anders: Der YouTube-Channel "historyteachers". Bild: screenshot/youtube.com

Wie war das eigentlich genau mit Hannibal und seinem Zug über die Alpen? Wann kam die Pest über Europa? Was hatte es mit Torquemada und der Spanischen Inquisition auf sich? Weshalb ist die minoische Kultur untergegangen? In welcher Welt lebte Johanna von Orléans? Wer hat die Französische Revolution angestoßen? Und wann?

Wer nicht auf alle diese Fragen spontan eine Antwort weiß, hat vermutlich im eschichtsunterricht nicht richtig aufgepasst. Nicht zuletzt die PISA-Studien haben enorme auch historische Wissenslücken bei deutschen Schülerinnen und Schülern zutage gefördert. Wer sich an seinen eigenen Unterricht erinnert, den dürfte allerdings eine Ahnung davon beschleichen, warum das so ist.

Unmotiviertes bis grenzdepressives Lehrpersonal jedenfalls hat die Sache nicht eben besser gemacht. Zusammenhänge - das eigentliche Faszinosum jeder Geschichte - sind schlechte Schwimmer, sie gehen rasch in einer Flut aus Fakten und Zahlen unter. Zumal "die Jugendlichen", wie es von kulturkonservativer Seite heißt, ohnehin "durch dieses Internet" und solche Sachen ihre Aufmerksamkeitsspanne nicht eben trainieren.

Genau dort allerdings unter www.youtube.com/historyteachers, gibt es nun eine ebenso unterhaltsame wie informative Ergänzung zur herkömmlichen Wissensvermittlung: Unter dem Künstlernamen Anna Domino, ein Wortspiel zu "anno domini" ("im Jahre des Herrn") erteilt die Indie-Sängerin Anna Virginia Taylor dort Geschichtsunterricht in Popsongform.

Der Trick ist lachhaft simpel: Domino bastelt liebevoll bekannte Hits nach und ersetzt deren Lyrics durch kompakte Betrachtungen einer Ära, einer Person oder eines Ereignisses. Für die Geschichte der Johanna von Oréans beispielsweise verwurstet sie nicht etwa "Joan Of Arc" von OMD, sondern, in angelehnt an die Ästhetik des Original "Seven Nation Army" von den White Stripes: "They called her La Pucelle/ The Maid of Orleans or Joan of Arc/ And she did impel/ The french army when their future was dark". So geht das dann weiter, bis zu ihrem bitteren Ende auf dem Scheiterhaufen.

Das ist nicht ohne Witz: Für eine verblüffend akkurate Geschichte der Pest in Europa genügt ein Song von Gwen Stefani, ein scholastischer Säulenheiliger wie Thomas von Aquin wird anhand von Bananaramas "Venus" erklärt: "Dominican philosopher/ Scholasticism was his game/ 'Summatheologica'/ Aquinas was his name/ Aquinas!/ Saint Thomas Aquinas!/ Aristotle was his model/ Analogical/ Thought it's rational".

Besonders schön: "Hannibal", mit alten Stummfilmausschnitten, Dantes "Göttliche Komödie" auf Basis von "Rapture" von Divine Comedy". Bei längerer Betrachtung stellt sich so ein seltsam psychedelischer Effekt ein - es ist, als hockte man wieder im Geschichtsunterricht, diesmal allerdings auf LSD und unterrichtet von der besten Lehrerin aller Zeiten. Eine Mary Poppins ihres Fachs. Der durchaus spürbare didaktische Furor wird dabei nie vom Jux-Faktor überboten. Durch den Ohrwurmcharakter der ausgewählten Songs bleiben Fakten und Daten tatsächlich hängen.

So ganz neu freilich ist die Idee nicht. Wer will, kann beispielsweise auch manche Songs von John Cales Klassiker "Paris 1919" an historische Miniaturen hören, Randy Newman ist mit "Great Nations Of Europe" ähnliches geglückt, und auch Paul Simon ist mit "Renè And Georgette Magritte With Their Dog After The War" schon eine bezaubernde Zeitreise gelungen. Was diese Künstler an Poesie einbringen, das ersetzt Anna Domino freilich durch eine Akuratesse, die bisweilen komisch wirkt. Aber das darf es ja auch.

So erinnert ihre Vorgehensweise bestenfalls vor allem an They Might Be Giants, die mit dem ganz ähnlich gestrickten "Istanbul" einen echten History-Hit hatten - und seit ein paar Jahren eigentlich nur noch Platten machen, auf denen sie Kindern die Mathematik ("Here Come the ABCs") oder die Naturwissenschaften ("Here Comes Science") erklären - noch präziser und noch eleganter als Anna Domino, deren Interpretationen eben manchmal ein wenig selbstgebastelt wirken. Und, ohne kleinlich sein zu wollen, nicht immer von echtem Verständnis der Zusammenhänge zeugen.

Nur ein Beispiel: In "Hannibal" etwa ist stets die Rede davon, der Punier habe "das alte Rom" herausgefordert, das sowas schon gewohnt gewesen sei. Tatsächlich waren die beiden Mächte damals noch aufstrebend, war Karthago Rom mindestens ebenbürtig. Gerade deshalb bieten sich diese Videos ganz ernsthaft als auflockernde Diskussions- und Arbeitsgrundlagen für einen aufgeschlossenen Geschichtsunterricht an.

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4 Kommentare

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  • P
    Peter

    Nun gut, Musikvideos gibt es nicht nur für den Geschichtsunterricht. Bereits vor Jahren lieferte die Gruppe Knorkator ein Beispiel für den Mathe-Unterricht:

    http://www.youtube.com/watch?v=iK9bhyl6B_E

  • DF
    Dirk Festerling

    Die historyteachers sind deutlich mehr kreative Köpfe als oben genannte Sängerin, was selbst unterdurchschnittlichen Rechercheuren bei den Begleittexten zu den Videos auffallen sollte.

     

    Ich habe auch noch nie viel von Personengeschichte gehalten.

  • T
    tystie

    Danke an die taz für die Weiterverbreitung des blanken Blödsinns!

    Wahrscheinlich wäre eine echte LSD-Sitzung für die Kids noch weitaus unterhaltsamer. Auf jeden Fall würde sie authentische eigene Erfahrung offenbaren und nicht das Wiedergekäue der Ansichten von Ahnungslosen, die als 'Fakten' verkauft werden.

  • MB
    M. Brück

    Bei aller Liebe, aber so geht es ja nicht.

    Ich weiß ja nicht wie alt der Autor/die Autorin dieses Artikels hier ist, aber dass Geschichtsunterricht seit Jahren bereits nicht mehr faktenorientiert verläuft, sondern hauptsächlich Zusammenhänge erklärt und nebenbei noch Konstruiertes zu hinterfragen und dekonstruieren versucht, dass Geschichtsunterricht nach dem Linguistic Turn kreativ und multiperspektivisch ist, während diese nett gemeinten Videos nicht anderes sind, als musikgewordene Verklärung von eben jenen angeblich so altbackenen Fakten und Daten, dass scheint hier nicht verstanden worden zu sein.

    Hip und modern sein ist eines, aber wirklich schülerInnenorientert und damit in höchstem Maße demokratiefördernd und aufklärend - wie heute moderner Geschichsunterricht oft ist - sind diese Videos beim besten Willen nicht.

    Aber ganz lustig und kreativ sind sie schon gemacht. Man kann sie ja mal als Beispiel für moderne Geschichtskultur in eine Unterrichtsstunde einbetten;-)