: Verfassungswidrig -betr.: Amtsrichter Schill und die Todesstrafe
Richter Schill ist der Auffassung, daß sich bei steigender Kriminalität eine parlamentarische Mehrheit finden ließe, die Todesstrafe wieder einzuführen. Er würde in diesem Fall das Richteramt nicht niederlegen. Dies ist nur so zu verstehen, daß er bei einer entsprechenden Verfassungsänderung als Richter auch bereit wäre, die Todesstrafe zu verhängen.
In der Kritik an dieser Äußerung wird bisher übersehen, daß die Todesstrafe nach der ganz überwiegenden Meinung in der Staatsrechtslehre auch durch eine qualifizierte Parlamentsmehrheit nicht wiedereingeführt werden darf, weil sie der Garantie auf Menschenwürde und dem Recht auf Leben widerspricht (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz). Die Wiedereinführung der Todesstrafe steht nicht zur Disposition einer parlamentarischen Mehrheit.
Nach der Werteordnung des Grundgesetzes sind rechtfertigende Gesichtspunkte für die Todesstrafe nicht begründbar. Auch im Völkerrecht gibt es eine deutliche Tendenz, die Todesstrafe als nicht mehr mit den Menschenrechten vereinbar anzusehen. Die amerikanische Menschenrechtskonvention verbietet zumindest die Wiedereinführung der Todesstrafe, wenn sie von einem Staat abgeschafft worden ist. Mit dem Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe von 1983 wird auch in den Staaten des Europarates die Todesstrafe unzulässig, sobald dieses Zusatzprotokoll in Kraft getreten ist.
Es gibt sicher keinen Anlaß zur Empörung, wenn sich ein Richter in der Öffentlichkeit zu justizpolitischen Fragen äußert. Bedenklich ist aber, wenn er sich zum Vorreiter von verfassungswidrigen Forderungen macht, durch die der Staat die Menschenwürde und das Recht auf Leben verletzen soll.
Michael Günther, Hans-Gerd Heidel, Dr. Ulrich Wollenteit, Martin Hack, Franziska Hansmann (RechtsanwältInnen)
Betr.: „Herzliche Wahlkampfgrüße“, taz hamburg vom 4.9.1997
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