VOYEUR DER LIEBE : Dieses Paar
Gestern Nacht kam ein vermutlich frisch verliebtes Paar wie aus einer anderen Welt in meine Stammkneipe hineingeweht. Die zwei waren hübsch, so um die dreißig und in ihren Augen nichts als Zuversicht und Liebe.
Normalerweise sind frisch verliebte Paare in der Öffentlichkeit peinlich. Sie knutschen, himmeln sich dämlich an und vollführen ein wenig appetitliches erotisiertes Zurschaustellen ihrer körperlichen Anziehungskräfte. Solche Paare denken, dass alle das Glück ihrer Liebe mit ihnen teilen wollen, währenddessen die Zuschauer die öffentliche Tyrannei ihres Schauspiels angewidert ertragen. Im Verlauf der Jahre habe ich schon so manch frisch verliebtes Paar in meiner Stammkneipe gesehen, die sich nach spätestens sechs Monaten nichts mehr zu sagen hatten.
Aber dieses Paar gestern war anders. Ihre Liebe war dringlich, dezent, unaufgeregt und dennoch schwungvoll. Zwischen ihnen gab es verspielte Augenkontakte und ein geradezu leidenschaftliches Reden. Ich konnte wegen der Musik und den Gesprächen der anderen Gäste leider nicht hören, was sie sich erzählten, und glaubte nichtsdestotrotz, jedes einzelne Wort zu verstehen. Sie waren für sich und nahmen ihre Umgebung gleichzeitig wahr. Nichts an ihnen wirkte falsch oder gar gekünstelt. Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln und kam mir in diesem Augenblick wie ein Voyeur der Liebe vor. Draußen, hinter der großen Fensterfront, gingen etliche Passanten mit Regenschirmen durch die ungemütliche Nacht. Die Tram donnerte Richtung Mitte vorbei. Die gelbe Leuchtschrift der Taxis und ein wenig weiter hinten die U 2 zum Alexanderplatz. Und drinnen, am Tisch, während der Regen an den Scheiben hinunterrann, die zwei, vollkommen geborgen in ihrer Liebe. Dann zahlten sie und gingen, und ich dachte: Bon Voyage, ihr Lieben! Schön, dass es so etwas noch gibt. Viel Glück, ihr könnt es schaffen! ALEM GRABOVAC