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Archiv-Artikel

VON DER ÜBERRASCHUNG ÜBER GENITALIEN IN LEINWANDGRÖSSE UND DEM PLAN, DER BESTE LIEBHABER BERLINS ZU WERDEN Ein Film wie japanischer Fantasiepop

Draußen im Kino

VON DETLEF KUHLBRODT

Irgendwie bin ich unfähig, mich in die Zukunft zu entwerfen, mein prospektiver Zukunftsbezug ist komplett gestört. Morgens sitze ich am Schreibtisch, wälze die Kataloge, blättere im Laptop herum und überlege, welche Filme ich gucken will. Vor zehn oder zwanzig Jahren war es mir manchmal gelungen, mir vor den Filmfestspielen ein Programm für alle Tage zurechtzuschustern. Und früher, als man ohne Karte, nur mit Badge, fast überall reinkam, war es auch einfacher. Egal.

Viele Filme sucht man sich aus persönlichen Gründen aus. Da eine Freundin aus Mexiko kommt, guckte ich zwei Filme („Los Angeles“ und „Two Men in Town“), die an der mexikanischen Grenze spielen, da meine filmische Wahlheimat Japan ist, ging ich in den Forums-Film „Kumiko, the Treasure Hunter“, auch weil der Titel mich an den großartigen, lustigen Film „Saikos geheimer Schatz“ von Shinohu Yaguchi erinerte, der 1997 im Forumsprogramm zu sehen war. Dabei hatte ich aber übersehen, dass es sich bei „Kumiko“ von David und Nathan Zellner um einen amerikanischen Film handelte.

Was anfangs nicht weiter stört. In dem Teil, der in Tokio spielt, wirkt „Kumiko“ wie ein junger japanischer Film. Als die Heldin jedoch tatsächlich in die USA, nach Minnesota fliegt, kippt es. Man stutzt, dass sie so einfach, ohne überhaupt kontrolliert zu werden, in die USA reisen kann. Die Leute, denen sie begegnet, kommen einem wie eine Nummernrevue vor. Der Film wäre viel besser gewesen, hätte man ihn nur in Japan oder den USA gedreht, wenn das Budget kleiner gewesen wäre, zwanzig Minuten kürzer. So wirkt „Kumiko“ oft wie eine Japanoiserie. Dass das den Filmemachern durchaus bewusst ist – der Film endet mit einem Lied der Yamasuki Singers, einer französischen Gruppe, die Anfang der 70er japanischen Fantasiepop spielte –, ändert nichts daran.

Und dann ging es mit gemischten Gefühlen zu „Nymphomaniac“. Beim Warten im Kino dachte ich an ein Gespräch vor vielen Jahren mit einem Freund. Ich hatte ihm also erzählt, dass ich mit ungefähr dreißig Frauen Sex gehabt hatte, und er, ein Kind der 70er, hatte sich halb totgelacht, weil es bei ihm zehnmal so viele gewesen waren. Sein Lebensprojekt war nämlich gewesen, der beste Liebhaber Berlins zu werden.

Glücklicherweise ist „Nymphomaniac“ kein Statement über Sex in der Gegenwart, kein Problemfilm und besteht auch nicht, wie befürchtet, zur Hälfte aus pornografischen Szenen.

Stattdessen ist der Film überraschend leicht und komisch soft; die beste Sexszene ist nicht pornografisch, sondern eher so ein 70er-Jahre-mäßiger Pin-up-Clip im Klassenzimmer. Nur das Pornografische war ein bisschen seltsam, weil Pornografie doch ein anderes Genre ist, weil man pornografische Bilder doch eher nur im Laptopformat kennt, weil man in dieser Größe noch nie irgendwelche Genitalien gesehen hat. Außerdem guckt man sich sexuelle Bilder normalerweise doch eher allein an und nicht mit ein paar tausend anderen Leuten im Kino, was dazu führt, dass man sich beim Gucken automatisch distanziert.