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Archiv-Artikel

VOM ENDE DER BERLINER TANZBÄRJAHRE, EINER FASTKAPITULATION UND ZAHNARZTHELFERINNEN, DIE IN DEN BARS VON NEUKÖLLN IM DREIERPACK AUFTRETEN Hipster, hipstermäßig cool gekleidet

VON RENÉ HAMANN

Der Besuch kam spät. Er war mitsamt seiner Mitfahrgelegenheit auf der Autobahn steckengeblieben, kurz vor Magdeburg, zwei Stunden vor Mitternacht. Da tranken wir bereits. Stangen aus Potsdam. Der Laden, in dem wir das machten, heißt nach seinen Eigentümern, einer Frau, einem Mann. Er befindet sich auf der allseits beliebten Weichselstraße, die nach der Aufwertung der Weserstraße hier im Norden Neuköllns ebenfalls eine Erfrischung erlebt hat, was man den Häuserfassaden noch nicht anmerkt. Na, altes Thema.

Der Laden war wie gewohnt voll. Die Musik war kaum zu hören. Schlechte Nachrichten mussten genauso geschrien werden wie Banalitäten, sobald der Redeempfänger sich mehr als zwei Meter weit weg befand. Dafür war die Sicht besser, trotz der Raucherlaubnis. Rechts neben mir, aber schon außerhalb meiner Peergroup, saß eine jüngere Dunkelhaarige mit Brille, die sich mit einem dunkelhäutigen Mann mit Bart unterhielt. Auf ihrem hellhäutigen Unterarm hatte sie eine Tätowierung, die aus der Selbstaufforderung „Immer weiter machen“ in einer Fünfziger-Jahre-Bürofraktur bestand, für die es bestimmt auch einen feschen, zur Distinktion geeigneten Fachbegriff gibt. Ich überlegte, ob ich schnell das Wort „Kapitulation“ auf meinen Arm schreiben sollte. Dann aber dachte ich, dass es auch so schon traurig ist, sich die Aufforderung „Immer weiter machen“ auf den Arm tätowieren zu lassen. Weil man ja so davon ausgehen muss, dass die Dame alles andere lieber täte, als eben immer weiterzumachen.

Kurz darauf wurde das Paar von einem Dreierpack junger Zahnarzthelferinnen ersetzt. Die Rothaarige in der Mitte trug ein fleischfarbenes Oberteil. Obwohl, korrekt wiedergegeben ist das nicht: Die Haut dieser jungen Dame war einfach von so einer noblen Blässe, dass ihr ansonsten vielleicht hellbeiges Oberteil ebenso fleischfarben aussah.

Der Besuch hatte unterdessen die Stadtgrenze erreicht, wenig später meldete er sich vom Hermannplatz. Da wären sehr viele junge Hipster unterwegs. So viele auf einem Haufen! Und sie wären alle hipstermäßig cool gekleidet. Tatsächlich hat das Stilniveau der Hauptstadt insgesamt angezogen in den letzten Jahren, trotzdem muss man auch und gerade bei Hipstern konstatieren, dass es in dieser Stadt weniger um Stil und Geschmack geht, was vermutlich auch den ökonomischen Verhältnissen geschuldet ist. Wer nicht viel hat, muss improvisieren. Die Jutebeutel kommen da nicht von ungefähr.

Lange Psychologenparty

Es war also spät geworden, und unsere Tanzjahre waren vorbei. Vielleicht hätten wir noch auf die Psychologenparty gehen sollen, die einen Freund noch bis um halb acht beschäftigt hatte. Am nächsten Morgen, als wir früh in der Sonne im Café Pfeiffers am Heinrichplatz saßen, waren wir aber ganz froh, ausgeschlafen zu sein. Das Wetter war herrlich!

Und überhaupt, überlegte ich laut, schienen die Berliner Tanzbärjahre vorbei zu sein. Natürlich gab es immer noch genügend Clubs und Diskotheken in dieser Stadt. Aber gerade mit Blick auf das immer hipper werdende Neukölln muss man doch feststellen, dass die meisten Menschen in den entscheidenden Jahren bevorzugt Bars aufsuchen, um quatschen zu können. Und anschließend auf Privatpartys gehen. Auf denen das Tanzen auch nicht viel mehr als eine Möglichkeit ist.

Vielleicht sollten wir uns demnächst auf die Suche nach der Gegenthese machen. Vorerst blieben wir in der Sonne sitzen. Und am Abend am Kamin. Für den am heiligen Sonntag neues Holz geholt und in den Keller gebracht und gestapelt werden musste, bevor der Besuch wieder fuhr. Wir sind – hoffentlich! – nicht in allen Dingen unserer Zeit voraus.