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Archiv-Artikel

VERSORGUNG DER BEVÖLKERUNG BEI WIND UND WETTER MIT LEBENSNOTWENDIGEN RAUSCHMITTELN Missverständnisse im Park

VON ULI HANNEMANN

Am Ausgang des Görlitzer Parks kommt mir ein junger Mann entgegen: Im Vorübergehen nuschelt er mir irgendetwas ins Gesicht. Ich verstehe noch nicht einmal Bahnhof.

„Können Sie bitte lauter sprechen?“, frage ich freundlich.

Er wiederholt, erneut kaum verständlich: „Brauchst du was?“

„Nein danke“, sage ich.

Ich brauche zwar alles Mögliche, unter anderem Geld, aber ich denke, er will mir was verkaufen. Und zwar, ich sage es frank und frei heraus: Drogen. Die aber brauche ich gerade nicht, weil ich sie selbst produziere. Mein Kopf ist dermaßen rotzvernebelt, dass sich bereits mehr als wünschenswerte Bewusstseinstrübungen eingestellt haben.

Außerdem habe ich ja kein Geld.

Aber ich bin immer freundlich zu den Dealern, weil ich weiß: Sie haben es auch nicht leicht. Wenn sie mich am Parkeingang ansprechen: „Hallo. Wie geht’s? Alles klar?“, bringe ich es, wohl wissend, dass ihre Worte weniger als eine Floskel sind, nie fertig, wortlos an ihnen vorüberzugehen. Stets grüße ich zurück und gebe höflich Auskunft: dass es mir gut gehe, ein bisschen Schnupfen vielleicht, was ich gemacht habe zuletzt, welchen Film gesehen, mit welchen Menschen gesprochen und worüber, subtile Andeutungen über den Verlauf meiner Verdauung, ohne unappetitliche Details preiszugeben. So in der Richtung eben.

Er brummelt noch mal etwas – diesmal verstehe ich: „Hast du was?“

„Ja“, sage ich. Erstens habe ich wirklich schon was, einen Mordsschnupfen habe ich, und zweitens möchte ich damit auch nochmals klarmachen, dass ich nichts brauche.

„Was brauchst du?“, fragt er nun. Anscheinend hat er zuvor einfach nur ein zweites Mal gefragt, ob ich was brauche. Um sicherzugehen, oder weil er mein Nein nicht verstanden hat.

„Nichts“, sage ich nun.

Er wird ein wenig ungehalten: Er stehe nicht zum Spaß hier, was ich denn glaube und ob ich ihn verarschen wolle.

Das verneine ich wahrheitsgemäß vehement. Niemals käme mir dergleichen Unfug in den Sinn. Schließlich sei mir vollkommen klar, dass er hier einer anspruchsvollen und höchst ehrenwerten Tätigkeit nachgehe, noch dazu bei nachteiligen Witterungsbedingungen, die mir meinen ganzen Respekt abnötige. Und niemand bedauere mehr als ich, welch absurden Anfeindungen und Widrigkeiten er bei der Ausübung seines Gewerbes ausgesetzt sein müsse. So gebe es gewiss eine Menge Kunden, die pampig seien und unverschämte Forderungen stellten, sowie Passanten, die ausgerechnet ihn anpöbelten, warum er keiner, wie sie es ausdrückten, „anständigen Arbeit“ nachgehe, anstatt sich selber mal zu fragen, was denn bitte sie am helllichten Tag verrichtungsfrei im Park zu suchen hätten. Einmal ganz abgesehen vom oppressiven Verhalten des Staatsapparats, der aus jedem vernünftigen Menschen unerfindlichen Gründen seinen Broterwerb behindere und seine lauteren Absichten anzweifle, während er doch nur bei Wind und Wetter der Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Rauschmitteln nachkomme. Er könne sich voll und ganz meiner Anerkennung und moralischen Unterstützung sicher sein. Wer also, so schließe ich meinen kurzen Vortrag, könne ihn da weniger verarschen wollen als ich.

„Also brauchst du was?“

Meine Sätze scheinen ihn berührt zu haben, auch wenn er das wegen ebendieser Rührung nicht in angemessene Worte zu kleiden vermag. Das sehe ich ihm nach. Er hat es schließlich nicht leicht. Aber das erwähnte ich ja bereits.