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Archiv-Artikel

„VERBRECHEN“ AN DER KLAGEMAUER Frauen beten wie Männer

VON ANDREAS HACKL

Nazi! Du bist keine Jüdin!“ Beschimpfungen wie diese sind für die „Frauen der Klagemauer“ nichts Neues. Seit 25 Jahren schon begeht die Gruppe jüdischer Aktivistinnen in Israel wiederholt ein „schweres Verbrechen“: das Beten.

Auch diese Woche haben sie es wieder getan. Für die einen sind die Frauen Heldinnen, für die anderen Sünderinnen. „Women of the Wall“ sind jüdische Frauen aus Israel und dem Ausland, die jeden Monat an die Klagemauer in Jerusalem gehen. Sie wollen dort nicht nur einfach beten, sondern sie wollen so beten wie es sonst nur Männer tun: den Gebetsschal über die Schultern gelegt, lautstark und selbstbewusst. Gemeinsam lesen die Frauen vor der Kotel, der Klagemauer, aus der Thora. Und das im Herzen jüdischer Heiligkeit.

Seit 1981 erklärt eine offizielle Bestimmung in Israel das traditionelle Gebetsritual an der Klagemauer für Frauen für illegal. So will es die orthodoxe Auslegung des Judentums. Genauso will es auch der Klagemauer-Rabbiner Rabinowitz, der in der Frauenbewegung an der Kotel einen „fanatischen politischen Machtkampf“ sieht.

Für ihren „Fanatismus“ wurden die Frauen wiederholt mit Steinen beworfen und von der Polizei abgeführt. Das passierte auch wieder am Mittwoch dieser Woche – trotz eines bahnbrechenden Beschlusses des Jerusalemer Amtsgerichts vom April 2013, der die Gebete der Frauen für legal erklärt hatte. Davon unbeeindruckt übertönten empörte ultraorthodoxe Juden die Gebete der Frauen mit Trillerpfeifen. Es geht ihnen um Tradition. Oder geht es ihnen vielmehr um Macht?

Ultraorthodoxe haben in Israel ein Monopol auf jüdische Religionsausübung und familienrechtliche Angelegenheiten. Deshalb ist die Kritik der Frauen an der Klagemauer auch ein Stich ins Herz jahrzehntealter Dominanz. Ein Beispiel: Juden in Israel können nur ultraorthodox heiraten. Deshalb fahren im Schnitt rund 20.000 Israelis pro Jahr ins Ausland, um den Bund fürs Leben zu schließen. Der Konflikt um Tradition erreicht auch die öffentlichen Verkehrsmittel: Erst im Juli hatten Ultraorthodoxe die Fensterscheiben eines Autobusses zerschlagen, weil sich eine Frau geweigert hatte, im „Frauenteil“ hinten zu sitzen.

An der Klagemauer geht es somit nicht nur ums Beten, sondern auch um Respekt für religiösen Pluralismus. So sieht das übrigens auch die US-amerikanische Schauspielerin und Sängerin Barbara Streisand, die im Juni in Israel war, wo sie zwei Konzerte gab und auch an den Feiern zum 90. Geburtstag von Präsident Schimon Peres teilnahm: „Es ist schrecklich zu hören, wie Frauen in Israel gezwungen werden, im Bus hinten zu sitzen“, kritisierte sie. „Genauso, dass die Frauen der Klagemauer mit Metallstühlen beworfen werden, wenn sie friedlich und legal beten wollen.“ Rabbiner Rabinowitz kommentierte die jüngsten Ereignisse in der Jerusalem Post: „Niemand wollte, dass es soweit kommt.“