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Unterirdisches Zeitz — größtes Gangsystem Deutschlands

Unter der Stadt Zeitz im Süden Sachsen-Anhalts erstreckt sich vermutlich das größte Gangsystem Deutschlands. Es gab nicht wenige Zeitzer, die noch bis vor einem Jahr nichts von ihrer mysteriösen „Unterwelt“ wußten. Der im Februar 1990 gegründete Verein „Interessengemeinschaft Unterirdisches Zeitz“ e.V. bringt Licht in das 7,5 Kilometer lange und bis zu 16 Meter tiefe, zweigeteilte Gangsystem. Seit Sommer vergangenen Jahres kämpfen sich Bautrupps Meter um Meter in das unterirdische Geheimnis vor, dessen Geschichte über 1.000 Jahre zurückreicht. Die ältesten Gänge wurden um 900 erbaut, die jüngsten im 19. Jahrhundert. Sie sind das Produkt der von endlosen Kriegen heimgesuchten Zeitzer Einwohner. Fluchtgänge unterhalb der Stadt waren für sie die einzige Möglichkeit, den tobenden Gefechten auf den Straßen zu entkommen. Später erkannten die Zeitzer auch die Nutzung der Gänge als Lagerstätte. Die stets konstanten Temperaturen in den Gewölben boten sich optimal zur Einlagerung von Feldfrüchten an. Noch heute sind auch Spuren von eingelagerten Bierfässern erkennbar. Kein Wunder, kamen doch im Jahr 1700 4,5 Liter Bier auf 6.500 Zeitzer. Die 70 Vereinsmitglieder haben inzwischen das gesamte Führungssystem ausgemacht und unerforschte Gänge gefunden. Sie glauben an weitere Unterführungen, die möglicherweise „frühere Leute“ als Tabu-Räume führten. Bauarbeiten basieren auf zwei Lageplänen, erstellt von einem Vermessungstrupp der Mitteldeutschen Braunkohlen AG Deuben, sowie auf einem Sicherheitsgutachten der obersten Bergbehörde. Der erste Führungsgang soll im Juni 1992 zur 1.025-Jahr-Feier von Zeitz begehbar gemacht sein. Lediglich die Stadt beteiligt sich mit Zuschüssen an dem Bauprojekt. Doch sind die für dieses Jahr bereitgestellten 25.000 Mark auch schon wieder fast ausgegeben. Der Vereinschef Seidel sucht dringend nach einem Sponsor. Die Elektrifizierung der Gänge stehe kurz bevor und ein erneuter Baustopp wie im Februar dieses Jahres wäre alles andere als wünschenswert, blickt der Diplomingenieur mit Bangen auf seine Vereinskasse, die Ende 1990 knapp über 3.000 Mark auswies.

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