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Archiv-Artikel

■ Universalfaktor Waldkiller: Stürme, abgasvergiftete Erde etc. – alles egal Die Rehe waren es!?

betr.: „Dem Reh gebührt die Kugel“ (Bundesministerin Renate Künast will das Jagdgesetz liberalisieren …), taz vom 28. 1. 03

Also, wir bösen Jäger haben letztes Jahr über eine Million der schrecklichen Waldschädlinge abgeschossen. Und weitere 100.000 haben die Autofahrer niedergemacht.

Angesichts sterbender Wälder haben unsere Forstbeamten den Universalfaktor Waldkiller entdeckt: den kleinen braunen Rindenschäler und den großen roten Rindenschäler. Stürme, von Abgasen vergiftete Erde, idiotische Fehlanpflanzungen vor zwei Generationen, alles egal. Die Rehe waren es!

[…] Was die Meldung der Blödzeitung über die 250.000 von Jägern getöten Haustiere betrifft: Sie ist, wie so vieles von denen, einfach nur Blödsinn. Und ihr verbreitet es. […]

JOACHIM THÜX (Jäger, Fischer, Imker), Ney

Ob das Jagdrecht von Renate Künast „liberalisiert“ werden soll, möchte ich wirklich in Frage stellen, genauso, ob die Rollen von gut und böse bei diesem Reformwerk so leicht zu verteilen sind. Weder Natur- und Tierschützer sind homogene Gruppen noch die Jäger. Zum Beispiel lehnen Tierschützer den Schrotschuss auf Rehwild noch massiver ab als Jäger, stellen vielmehr oft unter dem Einfluss radikaler Tierrechtler die Jagd als „Mord am Mitgeschöpf“ insgesamt in Frage. Die Jagdverbände fürchten im Gegensatz dazu bereits die kleinste Reformdiskussion. In unserer wildnisfreien Landschaft entspinnt sich um jede Tierart sofort eine ideologische Auseinandersetzung. […]

Der Abschuss aller Schalenwildarten (bis auf Wildschweine) wird übrigens durch die Behörden landesweit festgelegt. Wer hindert diese daran, die Zahlen zu erhöhen? An der Reform des Jagdrechts hängen viele Interessen, manche alten Zöpfe gehören abgeschnitten. Renate Künast könnte aber sicher davon ausgehen, dass Fleisch von Reh, Fasan und Stockente artgerechter zustande gekommen ist als solches aus der Massentierhaltung. […]

PETER ENDERLEIN, Geesthacht

Rehe sind überzählig und schädigen den deutschen Wald? Komisch, der aktuelle Waldschadensbericht liest sich anders. Warum wird nicht die Jagd auf Kraftfahrzeuge und Kohlekraftwerke eröffnet?

Statt Rehe zu jagen sollte die Jagd einschließlich Hege und Pflege aufgehoben werden. Rehe waren mal tagaktive Waldrandbewohner, die erst durch den Jagddruck zum Leben in der Nacht und im Wald verurteilt wurden. Die Wildfütterung durch tröphäengeile Grünberockte hat sommers wie winters dafür gesorgt, dass es widernatürlich viele Rehe gibt. Eine Radikalkur durch massive Bejagung ist daher Blödsinn, ein nachhaltiges Gleichgewicht dadurch zu erwarten Utopie. Erfahrungsgemäß ist Bejagung die beste Methode, die Reproduktionsrate einer Spezies zu erhöhen.

Inwieweit nicht mal 300.000 Jäger, also großzügig gerechnet 0,4 Prozent der Bundesbürger, überhaupt eine Marktrelevanz haben sollen, geht mir nicht in den Kopf. Nach einer Zeitungsumfrage vor einigen Jahren lehnen über 70 Prozent der Deutschen die Jagd ab. Bei denen holt Renate Künast sich deutliche Minuspunkte ab, wenn sie so verfährt, und gefährdet die Glaubwürdigkeit ihrer sonstigen Politik. VOLKER KÖNIG, Tönisvorst

Zur sachlichen Aufklärung teile ich mit, dass dem Reh ganz allein aus tierschutzrechtlichen Gründen die „Kugel gebührt“, da ein mit Sicherheit tödlicher Schrotschuss bei Rehwild nur auf eine Entfernung von maximal 30 bis 40 Metern möglich ist. Gerne lade ich Frau Platen und Frau Künast zu mir ins Revier ein, und sie zeigen mir, wie sie es schaffen, sich Rehwild bis auf 30 Meter zu näher.

Die Tagaktivität von Rehwild unterliegt den wildbiologischen Grundsätzen der Nahrungsaufnahme und ist kein Zeichen von Überpopulation, sondern von einem gesunden Biotop. Winterfütterung ist laut dem Bundesjagdgesetz grundsätzlich verboten und wird nur in absoluten Notzeiten durch den Kreisjägermeister erlaubt! Gesunde Gehörne sind bei Rehwild immer ein Zeichen einer gesunden Population. Bei Überpopulation wird auch das Rehwild eher krankheitsanfällig sein, sodass natürlich jeder Jäger darauf achtet, durch seine gesetzliche Pflicht zur Hege eine zahlenmäßig gesunde Rehwildzahl in seinem Revier zu ermöglichen. […] ULRICH JÄGER, Jäger in Barenburg

Abgesehen von der doch reißerischen Aufmachung des Artikels, sind darin auch einige zutreffende Passagen enthalten, die einer sachlichen Beurteilung unterzogen werden müssen.

So ist es zutreffend, dass heute so viel Schalenwild in Deutschland lebt, wie nie zuvor. Dies belegen die weiter ansteigenden Abschusszahlen bei weiter zunehmender Population der Tiere. Erhebliche wirtschaftliche Schäden in Wald und Flur, aber auch Tierseuchen wie die Schweinepest sind der eindeutige Beleg für eine unnatürlich hohe Population. Die volkswirtschaftlichen Schäden, die die traditionelle Jagd nicht verhindern kann, erfordern eine neue Definition der Jagd und geeignete Jagdmethoden.

Seitdem der Tierschutz Verfassungsrang hat, muss sich der Leitgedanke des „vernünftigen Grundes“, der gegeben sein muss, um ein Tier zu töten, natürlich auch im Jagdrecht wiederfinden. Tiere zu töten, um diese entweder zu „entsorgen“ oder z. B. im Falle einiger Vogelarten diese auszustopfen, um damit das Jagdzimmer zu „verschönern“, sind lieb gewonnene jagdliche Traditionen, die eine neue Beurteilung erfordern.

Die Überpopulationen an Schalenwildarten, die im Wesentlichen eine jagdliche Ursache haben (Fütterungen etc.) und die die naturgemäße Waldwirtschaft belasten, sowie der neue Rang des Tierschutzes sind die zwei zentralen Aspekte, die eine Novelle des Jagdrechts unumgänglich machen. […]

UNDINE KURTH, MdB, Bündnis 90/Die Grünen

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