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Und was hat Wagner in Alu bei Henze verloren?

■ Visualisierte Musik oder „Imaginäres Theater“ / Das Gemeinschaftsprojekt der Bremer Herbstakademie

Wie geht die Musik eines philharmonischen Ensembles mit den Visionen von KunsthochschulstudentInnen zusammen? Zwei große aufgehängte Leinwände rechts und links vom Podium fallen auf. Ein Großfoto von Gefängnishöfen mit schwarzen Gestalten steht da, wird langsam lebendig durch ständiges Flirren. Und dazu musiziert Bremens Deutsche Kammerphilharmonie „Le Miracle de la Rose“, Musik für einen Klarinettisten und 13 Spieler von Hans Werner Henze, eine unwahrscheinlich gegensätzliche Musik voller sowohl aggressiver wie ganz romantischer Elemente, technisch sehr schwer für das Soloinstrument wie für das Orchester.

Martin Fischer-Dieskau bringt das Ensemble bei diesem „Imaginären Theater“, einer fächerübergreifenden Veranstaltung der fünften Bremer Herbstakademie für Musik, jedoch zu faszinierenden Klangmixturen. Diese Musik blüht und peitscht auf; es fällt schwer, sich darunter ein Rosenwunder vorzustellen. Deborah Marshall spielt dazu bewundernswert kultiviert auf drei verschiedenen Klarinetten, der gebräuchlichen, dem Bassethorn und der kleinen G-Klarinette. Dann verschwinden auf der Leinwand die Figuren, das Stück endet mit einem ersterbenden Trommelwirbel. Das Publikum ist begeistert.

Eine Wagnerbüste taucht im Bild auf. Zunächst durch eine Alufolie oder Ähnliches verhüllt, dann von einer sehr fordernden, spitzenbehandschuhten Frauenhand regelrecht entblättert; das wirkt wie eine lüsterne Schlange, stark erotische Bewegungen, die von der Musik etwas ablenken. Wobei diese doch in so großartiger Fülle, so subtil wie farbig klingt. Emotionsgeladen singt die Altistin Silke Marchfeld die fünf hochromantischen „Wesendoncklieder“ von Richard Wagner, von Hans Werner Henze als fünf Gedichte für eine Frauenstimme bearbeitet. Und nur gelegentlich wird die hinter dem Orchester stehende Sängerin durch dessen Volumen etwas zugedeckt.

Visionärer Beigeschmack zum dritten Teil dieses Abends ist ein Mund. Ein großer, aus dem das Wasser sprudelt wie die Musik. Igor Strawinskys hinreißende Pulcinella-Suite nach G. Pergolesi ist aber auch dankbar. Trotzdem erfreut es doch, mit wieviel musikalischem Witz hier die alten Pergolesi-Tänze gebracht werden. Marina Scharnberg (Sopran) singt dazu klar und leuchtend, Tenor Can Tufan wie ein Italiener, in der Höhe metallen-strahlend der Baß Dirk Ibbeken. Ilse Walther

„Imaginäres Theater“ wird heute abend noch einmal gezeigt und gespielt, 20 Uhr, Aula der Hochschule für Künste, Dechanatstraße

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