Umsonst und draußen: Riffs im fließenden Verkehr
An schönen Abenden werden Warschauer- und Oberbaumbrücke zur Konzertmeile.
Im abendlichen Gewusel auf der Warschauer Brücke fällt die junge Frau im Blümchenkleid zunächst gar nicht auf. Während jeder Zug eine neue Horde von Feierwütigen auf den Platz vor der U-Bahn-Station spuckt, baut Elisabeth Kruggel ihr Mikrofon und den Verstärker auf, stöpselt Kabel ein und stimmt ihre Gitarre. Hinter dem bauchigen Instrument wirkt die zierliche Person fast ein wenig verloren. Dann beginnt sie zu spielen.
Ein zartes Liebeslied, mit kräftiger Stimme singt sie dazu gegen den tosenden Lärm der vorbeirauschenden Autos an. Ihr erster Zuhörer ist ein Obdachloser mit glasigem Blick, dann bleibt ein Pärchen stehen, das sich eng umschlungen hält, schließlich eine Gruppe aufgehübschter Frauen, deren einheitliche rosa T-Shirts sie als Teilnehmerinnen eines Junggesellinnenabschieds ausweisen.
„Ich spiele immer zuerst ein bekannteres Stück, damit die Leute stehen bleiben. Später dann auch eigene Sachen“, erzählt Kruggel in einer Pause. Die Zwanzigjährige ist Schülerin aus Berlin und macht unter dem Künstlernamen Alice Hills seit zwei Jahren Straßenmusik. Bisher sind ihre kleinen Auftritte vor allem ein lukratives Hobby, bei dem an einem guten Abend hundert Euro zusammenkommen können. Doch es könnte mehr daraus werden: Gerade nimmt sie ein Album auf. Ihren Standort auf der Warschauer Brücke hat sie sich an diesem Abend ganz bewusst ausgesucht: „Eigentlich braucht man eine Lizenz, wenn man mit Verstärker spielen will, aber hier kontrolliert die Polizei nicht. Und außerdem gibt es weniger Konkurrenz als zum Beispiel auf dem Alexanderplatz.“
Auf dem Alex hat John aus Glasgow heute den Nachmittag verbracht. Seit zwei Wochen macht der Ire in Berlin Straßenmusik, vorher war er in London und ist durch Australien gereist, seine Gitarre immer im Gepäck. Mit seinen Folksongs hat er heute gerade einmal 15 Euro verdient – noch nicht genug für die Übernachtung im Hostel. Deshalb steht er jetzt ein paar hundert Meter von Elisabeth Kruggel entfernt auf der Oberbaumbrücke und spielt weiter, die karierte Schirmmütze schräg auf dem Kopf, den Blick nach innen gerichtet. Die backsteinernen Bögen des Brückengewölbes werfen seine Stimme verstärkt zurück, während eine Gruppe junger Menschen mit Mate-Flaschen achtlos an ihm vorbeizieht. „Ein guter Platz“, findet John trotzdem.
In seinem Gitarrenkoffer, der aufgeklappt vor ihm steht, liegt eine Handvoll Münzen. „Zehn Euro“, schätzt John, „da kann ich heute Abend sogar noch ein Bier trinken.“ Er wird seine Gitarre kurz darauf einpacken und ins Hostel zurückkehren. In den nächsten Tagen will er nach Polen weiterfahren und auch dort auf der Straße Musik machen.
Noch ein paar Meter weiter macht sich Dima warm. Er wiegt sich vor und zurück, während er die Saiten seiner Elektrogitarre zupft, einige Läufe und Riffs spielt. Das kurze Haar steht ihm wirr vom Kopf ab. Eigentlich wartet er auf ein paar Freunde, mit denen er gemeinsam musizieren will, doch auch seine Fingerübungen sind einigen Passanten schon Geld wert. Dima macht seit drei Jahren hauptsächlich Straßenmusik, er spielt Jazz und Funk. Vor drei Wochen ist er aus Hamburg hier hergekommen, er schläft bei Bekannten, die er beim Musikmachen kennengelernt hat. „In Berlin ist das alles wahnsinnig einfach“, findet er. „Man trifft sofort die passenden Leute.“
Auch die beiden Musiker, mit denen er wenig später zur Mitte der Brücke weiterzieht, kennt er erst seit kurzem. Als das Trio Gitarre, Bass und Bongotrommeln ausgepackt hat und mit einem schnellen Stück loslegt, bildet sich schnell ein kleiner Halbkreis aus Passanten. Die improvisierte Band hat hier auf der Brücke ihren ersten erfolgreichen Auftritt.
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