Über dem Kreisssaal : Dunkle Gedanken
Am Nachmittag erst hatte ich meiner Tochter die Geschichte vom depressiven Kater Mog vorgelesen: „Mog saß allein im Dunklen und hatte dunkle Gedanken: ‚Ich bin ganz allein, keiner mag mich. Nicht einmal mein Abendessen haben sie mir gegeben.‘“ Nun lag ich selber im dunklen Zimmer einer Kinderkrankenstation, meinen zwei Wochen alten kranken Sohn neben mir, und hing Kater-Mog-Gedanken nach. „Das Baby hat Schmerzen. Keiner kommt und sieht nach uns. Und Abendessen gibt es auch keines mehr.“ Der Soundteppich aus Krankenhausgeräuschen – Schwesternschritte, Kinderweinen, Gerätepiepen – ließ mich in einen unruhigen Schlaf fallen.
Um Mitternacht schreckte ich hoch. Ein lautes, langgezogenes Wimmern erfüllte den Raum. Mein Baby war es nicht, es schnarchte leise. Das Wimmern steigerte sich zu einem Heulen, dann zu einem Kreischen. Meine Hormone meldeten sofort höchste Alarmbereitschaft: Welches Kind musste, um Gottes willen, solche Schmerzen erleiden? Und warum tat niemand etwas dagegen?
Das Kreischen und das Wimmern schwollen an und wurden mir unerträglich. Die Tränen liefen mir herunter, aus meinen Brüsten tropfte Milch, auf der Station aber regte sich nichts, hektische Schwesternschritte auf dem Gang blieben aus. Die Stimme artikulierte nun deutliche Klagelaute, ich hörte „Aua!“ und „Oh, Gott!“, dann folgten Grunzgeräusche in einem animalischen Alt. Plötzlich wurde mir klar, woher ich diese Geräusche kannte: Aus dem Geburtshaus, wo ich sie vor nicht allzu langer Zeit erst selbst von mir gegeben hatte. Deutlich beruhigter lauschte ich nun dem Wehklagen, das in einem spitzen Schrei endete. Ein dünnes Säuglingskrähen, dann Stille. Am nächsten Morgen erklärte mir die Schwester, dass sich mein Zimmer direkt über dem Kreißsaal befand.
NINA APIN