piwik no script img

Über das Falsche im Richtigen -betr.: Gastkommentar von Hucky Heck v. 12.12.94

Betr.: dito

Manchmal ist es erhellend, komplizierte Dinge zu vereinfachen. Davon lebt z.B. das Kabarett. So gesehen sind Huckys Überlegungen – Bremen als „Sozialhilfefall“, dessen Verwaltern nichts Besseres einfällt, als das Tafelsilber zu verscheuern, um wenigstens selbst von den allenthalben anstehenden Opfern verschont zu bleiben – eine begrüßenswerte Übung. Eine witzige Analogie und zwei Schlagworte – Arbeitszeitverkürzung und Rationalisierung des politischen Apparats – machen freilich noch keine bessere Politik. Und indem sie richtige Gedanken in falsche Zusammenhänge stellen, diskreditieren sie die Kritik auch noch dort, wo sie angebracht wäre. Zur Sache:

Wer auf der einen Seite Ehrlichkeit im Umgang mit der Haushalts- und Finanzmisere einfordert, sollte sich auch selbst ehrlich mit ihren Ursachen und Lösungsperspektiven auseinandersetzen. Das Sozialhilferecht kennt z.B. eben nicht nur das Instrument „Hilfe zum Lebensunterhalt“ sondern auch das Instrument „Hilfe zur Arbeit“. Wenn dafür – um im Bild zu bleiben: für die Stabilisierung und Modernisierung der Wirtschafts- und Infrastruktur, durchaus auch unter ökologischen Vorzeichen – Geld ausgegeben wird, muß man darüber streiten, ob hier genug getan wird und ob die richtigen Dinge getan werden. Aber man sollte nicht so tun, als ob das Geld in WAPs und ISPs sinnlos verjuxt und verjubelt wird. Und wenn man kritisiert, daß sich „die Politik“ in „wahrheitsfremde Hoffnungen von Wachstum flüchtet“, dann sollte man vorsichtig überlegen, ob man auf bessere Strategien für mehr Wachstum abzielt oder ob vielleicht das Wachstumsziel selbst das Problem ist.

Wenn Letzteres gemeint ist, dann macht die Forderung nach individueller und kollektiver Arbeitszeitverkürzung Sinn. Niemand wird bestreiten, daß allgemeine Arbeitszeitverkürzungen unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten außerordentlich segensreich sein könnten. Die unendlichen und verzwickten Detailprobleme, die in vielen verschiedenen Bereichen – von der Frage der Neuorganisation von Arbeitsplätzen und –vollzügen bis hin zum notwendigen Lohnausgleich für untere Einkommen und vieles mehr – dabei auftreten, könnten – z.B. in Pilotmodellen – vielleicht sogar mühsam bewältigt werden. Zwei andere Probleme machen diesen Komplex aber zu einer Perspektive, die weit über aktuell denkbare Sanierungshorizonte hinausreicht: wo soll der Einspareffekt für den öffentlichen Haushalt herkommen, wenn Arbeitszeitverkürzung im öffentlichen Dienst (anders als bei VW) durch Neueinstellungen in vollem Umfang kompensiert und kostenneutral gestaltet wird, wie Hucky fordert? Dazu kommen noch die Mehrkosten, die zunächst – wie bei allen betrieblichen Umstellungen – anfallen und die höheren Lohnnebenkosten. Arbeitszeitverkürzungen in einer vernünftig regulierten Form sind aus vielen Gründen sinnvoll und angesagt, aber niemand soll glauben, daß man damit Geld sparen wird. Und wie soll „die Politik“ eines Bundeslandes Arbeitszeiten in der gewerblichen Wirtschaft beeinflussen? Wir haben soetwas wie eine Tarifautonomie. Nur wenn bei den Tarifpartnern die Bereitschaft zu nennenswerten Veränderungen in dieser Richtung vorhanden ist, wird sich etwas tun. Hier sind kulturelle Lernprozesse erforderlich, deren Entwicklung durch politischen Übereifer nur behindert würde.

Ähnliches gilt für die „Vernachlässigung“ von kulturellen und sozialen Einrichtungen: wer – mit Recht – die Verkleinerung von Senat und Parlament fordert, muß auch sehen, daß dies allenfalls die symbolische Spitze eines Eisbergs ist, der im Beamtendeutsch „Aufgabenoptimierung“ heißt und in der Realität das Niveau und den Umfang öffentlicher Dienstleistungen zur Debatte stellt. Ernsthaft darüber nachzudenken, bedeutet auch den Preis zu nennen, der in Form von Zeit, Geld und persönlichem Einsatz von den BürgerInnen für mehr Demokratiearbeit, für mehr soziales Engagement, für mehr Initiative und Selbsthilfe zu begleichen sein wird. Überdies werden angesichts absoluter Sparzwänge immer wieder schmerzhafte Prioritätensetzungen notwendig sein. Dies zu geißeln, ist ziemlich einfallslos. Interessant wäre es dagegen, Formen von öffentlicher Auseinandersetzung zu entwickeln, die solche Prioritätensetzungen aus Koalitionsrunden und Amtsstuben herausholen.

Wenn man also schon große Worte macht und von „Betrug“ und „Totengräbern der Selbständigkeit“ redet, dann sollte man sich auch nicht scheuen, Sanierungspolitik für Bremen als gesellschaftliche Aufgabe zu begreifen, mit der „die Politik“ und „die Verwaltung“ überfordert sind. Eine Politik, die mit „Mut“ und „Konfliktbereitschaft“ eine Sanierung per ordre de mufti durchsetzt, können wir uns doch nicht ernsthaft wünschen. Frust und Ungeduld sind angesichts der letzten Jahre bremischer Politik verständlich, aber das kann noch lange kein Grund sein, auf gründliches Nachdenken zu verzichten. Dies kann man übrigens auch gemeinsam tun – meistens kommt dabei mehr 'raus.

Günther Warsewa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen