ÜBER BALL UND DIE WELT : Pickelhaube zur Tracht
MARTIN KRAUSS
Himmelblau seit hundert Jahren. Die Feierlichkeiten zum Jubiläum der Farbe des Nationaltrikots Uruguays fielen außerhalb des lateinamerikanischen Landes bemerkenswert bescheiden aus. Immerhin, Ende Dezember fand sich der Stürmer Diego Forlan im Adidas-Werk in Herzogenaurach ein, um nicht nur den Goldenen Ball als bester Spieler der WM in Südafrika zu erhalten, sondern auch um den Gedenktag zu begehen.
Zum ersten Mal waren die himmelblauen Farben 1910 bei einem Länderspiel gegen Argentinien zu besichtigen. Die bislang üblichen Trikots waren mal so und mal so und überhaupt nicht einheitlich. In Himmelblau wurden die „Celestes“ zweimal, 1930 und 1950, Weltmeister. Warum Blau, warum 1910? In diesen Zeitraum fällt der politische und ökonomische Aufschwung des Landes, der das Land auch für viele Auswanderer attraktiv machte – so anziehend wie der Himmel über Montevideo. Und in jedem Fall attraktiver als das preußische Schwarz-Weiß, mit dem die deutsche Nationalelf im Jahr 1908 ihr erstes offizielles Länderspiel bestritt.
Konrad Koch, der als der Mann gilt, der 1874 den Fußball nach Deutschland holte, war gegen Trikots. Der Lehrer, den wir uns seit dem Film „Der ganz große Traum“ vorstellen müssen wie einen Daniel Brühl beim Kostümverleih, erkannte in einheitlicher Spielkleidung etwas Englisches, das er nicht wollte. Und ein Nationaltrikot kam Koch schon deswegen nicht in den Sinn, weil er Spiele gegen ausländische Mannschaften ablehnte. Koch und die Seinen waren stolz, dass ein deutsches Reich existierte und Frankreich 1870 bei Sedan geschlagen worden war. Mehr Ländervergleiche brauchte es nicht, der Weltmarkt entwickelte sich noch, für einen richtigen Weltkrieg sorgten die Deutschen erst 1914, und auf die erste WM im Fußball musste man bis 1930 warten.
Aber die Nationaltrikots und die ersten ausgetragenen Länderspiele deuteten schon mal an, dass es für alles, was industriell, militärisch und politisch folgen sollte, auch einen fußballerischen Ausdruck gab. Auf frisch eingenommenen Inseln oder erstmals bestiegenen Bergen wird wie selbstverständlich die Nationalflagge gehisst: als Beleg, dass nicht nur der Boden, sondern ab sofort auch die Luft zum Hoheitsgebiet des Erobererstaates gehört. Im Fußball sind es die Spieler, die die Hegemonie eines Staates eindrücklich vermitteln. Bei diesem Projekt hilft einheitliche und auch symbolträchtige Kleidung: Was eine Auswahlmannschaft, dieser kickende Nationalstaat, diese Armee in kurzen Hosen, trägt, ist für die Botschaft, die das jeweilige Land in die Welt hinaustragen möchte, von enormer Bedeutung.
Schaut man sich in der Fußballfarbenlehre der Nationalmannschaften um, erscheint das Schwarz-Weiß des DFB als die preußische Pickelhaube unter den Fußballtrachten: mehr durch obrigkeitstaatliches Verdikt denn aus der gesellschaftlichen Mitte entstandenes Gemeinsames. 1986 führte Franz Beckenbauer als Teamchef verpflichtend das Singen der Hymne ein, und wenn im Stadion gegrölt wird, läuft auf der Anzeigentafel der Text mit.
Ähnlich verliefen alle Reformen des Nationaltrikots: 1987 hübschte der DFB die Jerseys mit schwarz-rot-goldenen Streifen auf. Das traditionelle Grün bei Auswärtsspielen wurde bald durch eine Farbe ersetzt, die deutsche Tugenden so intensiv spiegelt: schwarz. Und als Jürgen Klinsmann 2006 den Fußball mit neuen Trainingsmethoden revolutionieren wollte, setzte er plötzlich auf rote Trikots: Die stünden für positives Denken und animierten zu aggressiver Spielweise, hieß es. Taten sie natürlich nicht. Aber wir lernen: Sogar der Versuch, hiesige Trikots moderner zu gestalten, kam nicht ohne Dekret von oben aus. Hundert Jahre himmelblau kann es hier nicht geben.