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Archiv-Artikel

USA UND RUSSLAND VERSCHONEN SICH MIT KRITIK AN IHREN KRIEGEN Washington, nicht das Universum

Die Standpauke von Condoleezza Rice fiel deutlich aus. Russlands Demokratiedefizit sei besorgniserregend, meinte die neue Außenministerin auf ihrer Antrittsreise durch Europa. Die Verantwortung für das Schleifen der dünnen demokratischen Fundamente Russlands, daran ließ sie keine Zweifel, trügen der Kreml und sein Chef Wladimir Putin.

In Moskau nimmt man allerdings Rüffel dieser Art eher gelassen. Wenn die Supermacht USA wieder einmal einen Blitzkrieg der Werte lostritt, lehnt sich Moskaus Elite zurück und wartet den Feuerzauber ab. An der Front der universalen Werte hat Moskau wenig Gefahr zu befürchten. Noch ist das Land gegen Wertediskussionen immun.

Zumal wenn ausgerechnet Washington der Initiator der Offensive ist. In Moskau traut man den hehren Worten noch weniger als anderswo. Hinter Ethik und Moral orten Russen sofort handfeste Interessen: politische Hegemonie und wirtschaftlichen Einfluss. Dass Rice die Zerschlagung des Yukos-Konzerns zum Angelpunkt der Kritik machte und nicht etwa den Krieg in Tschetschenien, versteht die russische Öffentlichkeit sofort als Beleg ihrer Skepsis. Ein pragmatischer Deal: Beide führen Krieg, der eine im Irak, der andere im Kaukasus, und beide möchten öffentlich nicht daran erinnert werden, erst recht nicht voneinander.

Allerdings birgt diese schnelle Wahrheit auch einen Nachteil: Wer immer nur die Machtfrage analysiert, ist für Zwischentöne und einen kritischen Diskurs nicht empfänglich. Auf die Freiheitsrhetorik des Weißen Hauses reagiert die Öffentlichkeit ähnlich wie der Kreml. Lässt sich mit Gewehrläufen und Militärs Demokratie errichten?, fragt sie. Hat der Westen dies in Tschetschenien nicht gerade verurteilt?

Dass sich hinter dem demokratischen Universalismus ein US-amerikanischer Nationalismus versteckt, darüber herrscht weithin Einigkeit. Eine ethische Differenz zur russischen Variante des neoimperialen Sendungsbewusstseins erkennen aber nur die wenigsten Bürger. Demokratie nach innen ist in Russlands Gesellschaft kein Wert an sich. KLAUS-HELGE DONATH